Also gut.
Um es mit Flörys Worten zu sagen: Es wird Zeit, dass ich auch mal in einer Lügenlandgeschichte auftauche.
So soll es denn sein.
Bevor ich aber zu dem Tag komme, an dem Christian stürmte, und wir im orangenen Pritschenbulli durch Regenfluten paddelten, gibt es eine kurze Vorgeschichte.
Vor Jahren, acht oder neun werden es sein, überkam mich im Sommer die Lust, ein Loch im Garten zu graben.
Nur ein Loch.
Es war mühsam. Wer Mendener Konglomerat kennt, weiß, wovon ich schreibe.
Klebriger, rötlicher Lehm mit Kieseln so hart wie Kugeln aus Stahl.
So stur und erdverbunden, wie das sauerländische Gemüt.
Das Loch wuchs. Fast hätte ich es mir mit Baumschubser Drolshagen verscherzt, weil die geliehene Spitzhacke so lange in meinem Gebrauch blieb.
Irgendwann konnte ich nicht mehr aus dem Loch, Durchmesser drei Meter fünfzig, schauen.
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Die italienischen, griechischen, polnischen und albanischen Nachbarn zeigten Interesse zur Ablage verschiedener, unschöner Dinge, angefangen von toten MitbürgerInnen bis hin zu Giftmüllfässern.
Alle fragten mich, was es denn werden würde und anstatt lang ausschweifend meine Lust zu erklären, sagte ich einfach: Erdsauna.
Und weil ja irgendetwas mit dem Loch geschehen sollte, dachte ich, Steine seien eine gute Idee.
Ich fuhr also mit dem Fiesta der Liebsten in den Herdringer Bruch und schaute mir viele, rote Steine an.
Ich fuhr oft und nahm jedesmal maximal fünf Steine, ca 250 – 300 kg, mit.
Große, schwere, rote Steine.
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Die SteinbruchmitarbeiterInnen lachten, passten doch mindestens zwei Fiestas in die Mulde eines ihrer Radlader.
Es war in etwa zeitgleich, als meine Geliebte das neue Auto kaufte und die Rundung des Loches randhoch gemauert war. Denn mit dem neuen Auto durfte ich keine Steine mehr transportieren.
Balken wurden bestellt und OSB-Platten. Nach und nach entstand das Dach.
 
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Der Eingang zum Loch war nach wie vor eine glitschige Schräge.
Zeit ging durch das Land.
Die Arbeit am Loch lag brach, weil andere Arbeit wichtiger wurde.Familenpflege, Geldverdienen, Depressionen bekämpfen.
Die Familienpflege wurde mehr, das Geldverdienen weniger.
Irgendwann gab es nur noch Pflege und nichts anderes mehr.
Einer der wenigen Höhepunkte in der Zeit war die Hochzeit mit meiner Geliebten.
Die Feier sollte im Garten stattfinden. Innerhalb einer Woche pfuschte ich eine Treppe aus der glitschigen Schräge und einen Holzfuzßboden für das Loch, damit die Gäste auch hineingehen konnten.
Ich lieh mir von einem kleinen, nachbarlichen Umzugsbetrieb einen Transporter, der so schlecht in Form war, das man für die verschiedenen Gänge einen Hammer brauchte, um sie einzulegen.
Diesmal ging es in den Herdringer Bruch mit den schwarzen Steinen. Die brauchte ich für die Mauern im Außenbereich. (Es war übrigens die letzte Fahrt des Transporters. Danach kam er auf den Schrott.)
Noch während die ersten Gäste zur Hochzeitsfeier eintrudelten, sägte ich die letzte Fußbodendiele.
Ich wußte, dass diese Arbeit eigentlich überflüssig war, da nie Holz für den Boden vorgesehen war.
Das Fest war toll, alle lobten den wilden Garten und die vielen Möglichkeiten die er bot.
Da sich der Begriff „Erdsauna“ langsam herumgesprochen hatte, meldeten sich immer mehr Leute an, die diese Sauna auch nutzen wollten.
Ich stellte mir die vielen, schwitzenden Leiber vor und war schnell der Überzeugung, dass ich die nicht in meinem Loch sehen wollte.
Die Familienpflege wurde ausschließlich, es war keine Zeit mehr für andere Aktivitäten.
Der Holzboden im Loch verzog sich, nahm die natürliche Feuchtigkeit auf und ging den Weg allen Rottes.
Dann, kurz vor dem Tod meiner Mutter, gab es ein Unwetter, welches die letzte, gebaute Trockenmauer im Eingangsbereich unterspülte und zum Einsturz brachte.
Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Lust auf und die Kraft für das Loch verlor.
Andere Dinge waren um so vieles wichtiger.
Also blieb das Loch über zwei Jahre komplett unberührt.
Meine Mutter starb, das Leben mußte neu geordnet werden.
Irgendwann fragte meine Frau: „Ist eigentlich eine Dachbegrünung für das Loch vorgesehen?“
Manchmal reicht eine Frage, um verschüttete Ideen wieder freizulegen und einen kleinen Energiestoß zu geben.
„Das kann ich nicht. Da hab ich keine Ahnung von.“
„Dann hol dir Hilfe. Du kennst genug Leute.“
Also fragte ich die weltbeste Flöry um Rat und Tat, und plötzlich ging alles relativ schnell.
Wir machten einen Termin aus, sie schaute sich alles an und übernahm den Auftrag, sowohl die Dachbegrünung als auch die Mauern des Eingangsbereiches fertigzustellen.
Dieses Mal fuhren wir mit ihrem orangenen Pritschenbulli in den Herdringer Bruch mit den schwarzen Steinen und es war ansteckend, mit welcher Lust und welchem Elan Flöry die Sache anging.
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Und wieder Steine schleppen. Viele, schwarze, schwere Steine.
Flöry nahm sich der gestürzten Mauer an und trat mich in jeder meiner Nikotinpausen in den Hintern.
„Mach hinne!“
Ich riß den Holzfußboden heraus, die mittlerweile rottige Dachbegrenzung ab, während die Meisterin jetzt die schwarzen Steine wuchtete.
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Ich kenne mich schon mein ganzes Leben. Der Trick, mein Ich hereinzulegen, ist eigentlich recht einfach. Improvisieren.
Sich selbst in unbekannte Situationen bringen, bei denen der Ausgang ungewiss ist.
Für gewöhnlich werden dann Energien geweckt, Zwangskreativität, weil irgenwie die Situation gelöst
werden muß.
Außerdem kann ich schlecht anderen Menschen bei der Arbeit zuschauen.
Zwei Wochen später war der Eingangsbereich, bis auf die Stufen, fertig. Schön.
Dann eine Hui-Fahrt nach Hamm, zum Blumengroßmarkt. Sabber.
Wieder schleppen, diesmal Säcke mit Lava-irgendwas, Folie, Flies und eierkartonähnliches Plastik. Das alles kam in der richtigen Reihenfolge auf das Dach, zack-bumm, fertig war die Bepflanzung.
Jetzt lief der Motor.
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Das nochbrauchbare Dämmmaterial vom Fußboden kam an die Wände, Feuchtraumrigips folgte. Noch während der großen Verputzaktion erschien Flöry und sprach von einem Steinbruch, den sie gefunden hätte. Er wäre verkauft worden, sagte sie und sie hätten noch Restposten.
Rein in den Orangenen und ab ins Hönnetal, Platten gesichtet und die Hälfte gleich aufgeladen.
Für die andere Hälfte war kein Platz mehr.
Die letzte Kelle wurde geschwungen. Plötzlich bekam das Loch ein Gesicht, Charakter. Etwas, was seit fünf Jahren im Garten wie ein Mahnmal für eine eingeschlafene, vergessene Idee stand, war erweckt worden.
Das ist erst zwei Wochen her.
„Flöry, ich brauch jetzt den Split! Dann kommen die Platten rein und ich bin fertig.“
Siebenhundertzwanzig Kilogramm Splitt aus der Mulde auf die Pritsche von einem Bekannten bei Herbrügger, mit dem ich schon im Sandkasten gespielt habe.
Siebenhundertzwanzig Kilogramm Split in Eimer geschaufelt, rechts und links ins Loch getragen und verteilt. Zuerst dachte ich, es sei zuviel, erst viel zuviel, dann zuviel, dann wird eng, bis am Ende ein Speisfass voll mit den schwarzen Schreddersteinchen fehlte.
Das war am Sonntag. Da lagen alle Platten, die da waren und der Split reichte nicht.
„Flöry, wir müssen die restlichen Platten holen.“
„Gut. Machen wir am Dienstag, in der Mittagspause.“
Montag Morgen rief sie an.
„Können wir das gleich machen? Ich hab grad Zeit.“
„Klar.“
Als sie klingelte, hagelte es. Christian pubertierte gerade rum. Hinter Lendringsen pladderte und stürmte er erwachsen.
Vielleicht ein kurzes Wort zu Flöry.
Ich kenn sie schon seit dem Beginn der Jugendarbeit im Theater. Da kam sie, noch Kind, zusammen mit Schwester und Bruder. Einfühlsam, sensibel, mit eigenem Kopf.
Jetzt weiß ich, dass es zwei Flörys gibt.
Die andere Flöry fuhr ihren Pritschenbulli, während es stürmte und hagelte und aus Eimern schüttete und sie fuhr locker mit einer Hand. Die Andere nutzte sie wahlweise zum Halten ihres Mittagsbrötchens oder ihres Smartphones, das in den ungünstigsten AutofahrerInnenroutinen zwitscherte wie ein Sperling mit ADHS.
Dabei fluchte und brüllte sie (nicht während der Telefonate) andere Autos und deren FahrerInnen an, erinnerte sich zwischendurch noch an ein Giveaway und gab mir ein Feuerzeug vom „Scheidungsportal“.
Unter meinen Füßen purzelten Grabsteinbuchstaben, Schnitthosen, das Baustellenradio, Wasserflaschen, Handschuhe und Brötchentüten durcheinander, während auf den hinteren Sitzen Motorsäge, Laubbläser (??!!) Kanister, diverse Werkzeuge im Takt der hönnetaler Bodenwellen auf- und niederhüpften.
Das Hönnetal ist kurvig, die Straßen sind schmal, die Sicht minimal, das ist die Situation, in der Flöry zur Höchstform auffläuft.
Es kam mir vor, als wünsche sie sich eine breite Schaufel an der vorderen Stoßstange, so eine, wie sie die alten Cowboyeisenbahnen damals hatten, um alle SchleicherInnen, VorsichtigfahrerInnen oder einfache AutoamateurInnen von der Straße zu schubsen.
Im Hönnetal selbst hingen noch ein paar wagemutige am Seil auf der Leiter eines Fahrzeuges auf den Schienen. Sie wollten diese unsäglich häßlichen Netze gegen den Steinschlag spannen.
Tief Christian hatte inzwischen Leben gefordert, Windmühlen umgehauen, Bäume entwuzelt oder einfach gebrochen.
Auf dem Weg vom Steinbruch zurück, die restlichen Platten luden wir bei strömendem Regen auf, fiel in einem Stau auf der B515N der Auspuff ab. Nicht ganz, aber doch schon so rappelrappelknatterknatter.
„Passiert ständig. Muß ich wohl mal ne Schraube reindrehen,“ war ihre lakonische Antwort auf meine Körperspannung.
„Gehts wieder?“
Und sie lachte laut und haute den herausgesprungen Gang wieder hinein.
Während ich die Platten abludt, reparierte sie den Auspuff fix mit einem Kabelbinder. An gleicher Stelle hatte ich vor dreißig Jahren den ersten Auspuff meiner Ente mit Silikon angeflickt.
Am nächsten Morgen benutzte ich das neue Auto – was auch schon hundertausend Kilometer gefahren ist – trotz des mißtrauischen Blicks meiner Liebsten, für den Transport eines Speißfasses voll mit Split.
Es wurde noch einmal richtig schmutzig, weil rechteckige Platten für ein rundes Gelände immer zugeschnitten werden müssen.
Die kleinen Ecken gepflastert und einen Tag später den Silbersand besorgt.
Was jetzt noch kommt, sind kleine Details, Verschönerungen.
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Wenn Sie sich fragen: was macht er denn jetzt damit, überlasse ich die Antwort Ihren Vorstellungen, Ihrer Phantasie.
Mehr werden Sie nicht bekommen.
narr

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