Kleine Leseprobe

Ich korrigiere gerade den Roman GALZMANN von W. Weist und dachte so: Das ist doch eine schöne, nichts verratende Leseprobe. Habt Spass, oder so. Cordoba. Ich bin in Cordoba. Dicke Mauern mit roten, quaderförmig behauenen Steinen. Eine Steinbrücke. Ein Fluss. Daneben, am Ufer, geduckte Häuschen. Eine steile Treppe. Ich such jemanden. Eine Person. Oben die Mauerbrüstung mit einem Burgplatz. Araberhengste mit Federpuschel auf dem Hechtkopf drehen sich im Takt der

Gerade im Cafe Büsch oder Sammler, wie aus dem Lehrbuch

Ein mittelaltes Pärchen ist im Begriff, sich an den Tisch neben mir zu setzen. Die Frau trägt das Tablett mit zwei Tassen Kaffee, viermal Milch, zweimal Zucker und einen Teller, auf dem ein Stück Marmorkuchen liegt. Der Mann hält beide Hände behütend auf Bauchnabelhöhe zusammen und trägt verstohlen seinen Schatz von mindestens fünfzehn Portionsdöschen Kaffeesahne  und mehreren Päckchen Zucker, bevor er seine Preciosen in seiner Manteltasche versteckt. narr

Notizen, während Florian arbeitet

Florian Silbereisen hat sich mit Öl einsprühen lassen, springt speckschwartengleich durch eine Mauer aus Pappkartons, flutscht wie ein geölter Trockenfisch am Band von einem Gerüst auf die Bühne und begrüßt die Fleisch-Heidi Beatrice Egli. Skihütten-Ross hat seine Eltern mitgebracht und singt das alte Lied von einer neuen Liebe. Tanzende Teekanne, die nicht mit dem Playback klarkommt. Es entsteht der Eindruck, seine Tänzerinnen seien von einem Brillenhersteller gesponsort worden. Ross erzählt,

Erinnerungen

Es war eine dieser dunklen Abende, an denen sich Erinnerungen mit Kußhand  über jede friedliche Seele ergießen. Er verließ seine Lieblingsfiliale der Bäckereikette, atmete noch einmal tief durch und betrat die Kolpingstraße. Rechter Hand befand sich eine Wirtschaft, in der in seiner späten Jugend legendäre Schlachten geschlagen wurden. Jetzt, nachdem der greuliche Wirt aus seinem Reich vertrieben und die große, dicke Kastanie vor seiner Gaststube gefällt worden waren, beherbergten die

Rührung

Chim Chimmeny. Der Himmel weinte vor Rührung. Der Schornsteinfeger war gekommen und hatte den Dreckseimer von sich aus zweimal geleert. Das ergab eine Reinigungssteigerung von immerhin 200 Prozent. Die Schirmparade der Wilmersdorfer Witwen zog vorbei und verschwand in der Rösterei. „Och. Heute nehm ich mal ein Mettbrötchen, ein Eierlikörchen und einen Kaffee mit Schuss.“ „Für mich das Gleiche.“ Klingendes Goldgeschmeide auf gebräunter, ausgetrockneter Lederhaut über osteoporösem Knochenbau. Sie hielten die

Tscherbatscha

„Ist das da ein Tscherbatscha?“ „Was meinen Sie?“ „Ja, das da.“ Der Mann mit Lederstetson und Staubmantel zeigt in die Auslage. „Das ist ein kleines Baguette. Ach, Sie meinen Ciabatta. Nein, die kommen erst morgen wieder.“ Hör ich da ein Sporenklirren, das Durchladen einer Winchester? Ist heute wieder ein Tag der sich kreuzenden Zeitlinien? „Dann nehm ich so ein Dingens und eine Laugenstange,“ knurrt der Cowboy. „Ein Hörnchen, eine Laugenstange.

Ach Welt

Gerade erzählte mein Lieblingsnachbar Stavros, im griechischen Fernsehn hätten sie heute gesagt, Kim Jong Un hätte seinen Onkel und die vier Offiziere in einen Käfig mit hundertzwanzig hungrigen Schäferhunden gesteckt. „..nicht gefüttert. So Hunde.“ Die ursprünglich Nachricht sei aus China. Die wüßten das besser. „Bei Ntv ist auch gekommen. Auf Schriftband so.“ Das Jahr fängt gut an.

Zucker

Der Geist war willig, das Fleisch so stark. Zehn Tage keine Nahrung, nur Flüssigkeiten, bis ich gestern einen folgenschweren Fehler machte. Geplant waren eigentlich vierzehn Tage Nahrungsabstinenz. Es ging gut an. Am zweiten Tag das typische Magengrollen, verbunden mit Kopfschmerzen, dann war Ruhe. Der Geist wurde klarer, die Wahrnehmung schärfer, der Geruchsinn intensiver, das Seelenhäutchen dünner, der Körper allgemein viel spürbarer. Man ist nicht mehr so mit der Welt verbunden,

fünfzig Minuten

Ich würd ja gerne etwas Nettes, Schönes, irgendwie Positives schreiben, schließlich ist Jahresanfang, vielleicht auch etwas Lustiges, aber das Wartezimmer der Intensivstation in Herne ist Einmetersechzig breit, Dreimeterfünfzig lang und ohne Tür. Drei graue Stühle, zwei mit altrosanem Bezug und der Wirkung von vergammelten Eishörnchen. Ein kleiner Tisch mit orangener Papierdecke. Auf ihr stehen zwei grüne Glasflaschen Mineralwasser, beide knapp ein Viertel voll, und eine Kaffeetasse, die zwischen den Beiden