Fünf Jahre sind seit dem letzten Besuch Hamburgs vergangen.
Der Bahnhof ist wie immer. Laut, dreckig, zu viele Menschen.
Die Suche nach der richtigen S-Bahn ist eine kleine Herausforderung, da, korrektes Gleis, richtige Bahn, diese ausserplanmäßig nur bis HBF fährt und die, offensichtlich genervte, Durchsagensprecherin ins Mikro bellt: Nicht einsteigen. Endet hier. Brzzlgrummel. Nicht einsteigen.
Google zu Fuß zu benutzen ist auch nicht ohne. Wer weiß schon spontan, wo Nordosten ist. Also umrunden wir die Großbaustelle am Berliner Tor mal rechts, mal links, um irgendwann fußwund unser Ziel zu erreichen.
Super 8 für ein Hotel klingt mir etwas suspekt. Snuff-Filme, Kinderfilm von Steven Spielberg, billiger Schmuddelschuppen, sind die ersten Assoziationen, aber es erweist sich als ein recht neues, von einer jungen Crew geführtes, großes Hotel mit akzeptablen Preisen.
Abendessen am Großneumarkt, was meine wackelige, emotionale Stabilität gehörig ins Wanken bringt, und ich in Tränen ausbreche wegen der vertrauten Umgbung, auch wenn es schon 35 Jahre her ist, dass ich dort gearbeitet und gelebt habe. Puhh.
Die Familie geht voraus, ich wende alle inneren Tricks an, um meine Fassung einigermaßen zusammen zu klauben. Das hatte ich so nicht erwartet.
Köstliches Abendessen im Capriccio, wo ich schon mit Bille und Peter Möbius zu KLEX-Theaterzeiten gegessen hatte.
Die U- und S-Bahnen riechen immer noch so, wie es in der Erinnerung fest verankert ist. Menschen, Menschen, zu viele Menschen. Und Straßenverkehr, der stets zu kollabieren scheint. Hier hab ich ein Jahr als Fahrradkurier ohne Krankenversicherung gearbeitet. Aus meiner jetzigen Sicht gebührt mit ein gehöriger Klaps auf den Hinterkopf.
Schietwetter, während die ersten Touris auf Rhodos evakuiert werden, und im Fernsehn des Hotelfoyers Welt wieder fiktive Meteoriteneinschlagsszenarien weltuntergangsmäßig ohne Ton zeigt. Spooky.
Das Frühstücksbuffet ist ok. Deutsche Croissants sind einfach überall labberig. Anstehende BuffetkämpferInnen hingegen agieren straight gierig. Erfahren im Messer-Gabel-Tellerkampf werden ramboesk Schinkenstreifen, Würstchen und Rühreibrocken auf die viel zu kleinen Teller gehäuft wie Schafkadaver bei der Maul- und Klauenseuche. Allein die Geräuschkulisse ist nervenzehrig. Allüberall Einschläge. Messer und Gabel auf Porzellan, kauen, schlürfen, rülpsen, trippelnde Füße der Ungeduld in langen Schlangen vor den Kaffeeautomaten. Schnell, schnell. In einer Viertelstunde schließt das Gelage.
Die Schlagzeile im Weltfernsehn ist: Flammenhölle im Ferienparadies, und das Barbie einen erfolgreichen Start in den USA hat. Der schmuddelige Sauerländer rudert erfolglos zurück von seiner Aussage zur fckAFD. Dafür sollte ich ihm in sein plörriges Warsteiner vomittieren.
In Ballinstadt ist Sesamstrasse im Auswanderermuseum. Wir waren früher schon einmal da, allerdings ohne Ernie und Bert, und die Nichte und der Neffe waren noch klein. Wir waren auch schon einmal im Auswanderermuseum in Bremerhafen, sehr spannend, aber für mich ist dann irgendwann auch mal gut. Vor der Tür fragt mich ein Mann mit einer Schaffellwickel um das rechte Handgelenk nach einer Zigarette. Ich biete ihm Tabak an, er mir einen Schluck aus seiner Vodkaflasche. Er käme aus Polen, sagt er auf Englisch, ich aus dem Sauerland, antworte ich. Dann schweigen wir gemeinsam und genießen den Nieselregen.
Amerika first, ist ein Spruch von 1928 an der Wand, und ich denke an Trump. Das Gesocks muss aus der Stadt, ist ein anderer Spruch von 1800schießmichtot des Hamburger Senats, und ja, nichts hat sich geändert.
Vor der S-Bahn fragt mich eine Frau, ob ich coins for joints hätte. Ich frage zurück, ob sie Joints hätte. Sie verneint, wir lachen beide und sie zieht weiter.
Abendessen bei Fritze Hennsler, der natürlich Steffen heißt, aber auf mich immer wie klein Fritzchen wirkt. Ich bekomme einen veganen Burger mit Pommes. Der ist ganz ok, aber der vegane Burger bei Bonkers in Menden ist besser. Das überrascht und freut mich. Die Einrichtung ist so lala, der Service schnell und freundlich.
Voll ist es, und vor dem Klo gibt es eine Selfiwand mit Fritzchen als Fototapete. Na ja.
Die Abwesenheit der Menschen in der Innenstadt erfrischt.
Hamburg am Montag morgen in der Innenstadt ist um ein Vielfaches lauter. Egal, wo wir uns bewegen, ist Baustelle mit Lärm, Dreck und Ramme.
Mein Orientierungssinn ist eingerostet, was mir etwas peinlich ist. Google quackt aus meiner Jackentasche. Das ist mir noch peinlicher. Ausserdem bin ich jetzt in dem Alter der schwachen Blase, was wirklich nervt. Mehr Klo hoppen, als stilvoll shoppen.
Abends ins Ti Breizh, Haus der Bretagne in der Deichstrasse. Crepes, wohin das Auge blickt und Bonjour sprechendes, französisch stämmiges Serviceteam. Der Regen schlägt Blasen in die Fleets, die Elphi versteckt sich hinter einem Regenvorhang.
Crepes scheinen gerade der heiße Scheiß der Hansestadt zu sein, so voll es ist. Wir haben reserviert.
Die Stimmung der Touris auf der Deichstrasse ist gereizt. Nirgendwo Platz, es pladdert hanseatisch, die Kinder quengeln.
Auf dem U-Bahnsteig liegt eine Frau ca. 30cm von den Schienen entfernt. Ich frage, ob alles in Ordnung sei. Sie dreht den Kopf zu mir, nickt, lächelt und sagt: „Alles ok. Ich will nur schlafen. Aber danke, dass Sie fragen.“
Feuchte Menschen, dicht an dicht in der Bahn, entwickeln ein besonderes Aroma kurz vor schwindelerregend.
Über unserem Zimmer wird entweder gerade ein Kind gezeugt, oder die Kinder spielen Stuhlhüpfen auf dem Parkett. Zum Glück sind wir so erschöpft, dass wir sofort einschlafen.
Nach dem Frühstück Verabschiedung. Die Restfamilie, sechs Personen, fährt früh mit dem Auto.
Die Liebste und ich haben den Zug, nachmittags um vier gebucht. Da bleibt noch Zeit, für einen kleinen Bummel.
Kurz nach der Abfahrt mit dem ICE sagt die Bahnsprecherin, der Wagen Nr. 8 sei verlorengegangen. Für Reisende mit Reservierungen für diesen Wagen wende man sich bitte an das Bordperonal. In welchem Fundbüro der Wagen wohl auftaucht?