Herausforderung

„Geh nicht ins Licht. Geh nicht,“ flüstere ich hinter dem Lenkrad. Die Straße ist ein gleißendes Lichtermeer. Sie ist nass, die Sonne steht tief. Die Augen sind nicht in der Lage, den Lichtdornen auszuweichen. Nichts, außer Schmerzen der Helligkeit, ist zu sehen. Der Gegenverkehr verschwindet, die Augen tränen, was dem Gleißen eine Korona verleiht. War da eine Ampel? Wie ist denn jetzt der Straßenverlauf? Die Erinnerung überbrückt ein wenig die

Intensivstation

Natürlich ist es eine Narretei. Wer könnte das besser beurteilen als der narr. Aber am 24. 12. mit dem Fasten zu beginnen ist mein Yang im Ying des Festtagswahnsinns. Während andere die Kerzen entzündeten und die Geschenke auspackten, gönnte ich mir ein Microklist. Bei der Lesung am nächsten Morgen lief alles glatt. Alle von mir ausgewählten, geschriebenen Worte spazierten gemächlich durch meine Stimmritze und brachten das zahlreich erschienene Publikum in

vertrauensbildende Maßnahme

Es ist keine vertrauensbildende Maßnahme, wenn eine Krankenschwester im sterilen Dress von der Intensivstation des evangelischen Krankenhauses in Gelsenkirchen eilt: „machen Sie bitte Platz,“ die Tür zum Besucher-WC  öffnet, hinter sich schließt, und ich zunächst ein Geräusch höre, das weniger an Flatolenzen, denn an ein platzendes Schlauchboot erinnert, welches, und das ist das zweite Geräusch, einen Wasserfall herabstürzt. Dann lange Stille. Die Liebste, erfahren im Umgang mit Pflegepersonal, meint trocken:

W und andere ichtigkeiten

Um diese Jahreszeit nimmt sich die Gesellschaft, mehr als sonst, wirklich wichtelwichtig. Wirtschaftswichtel prognostizieren das Wachstum des kommenden Jahres. Wir haben einen neuen Waffenwichtel von der Leyen, äh von der Leine gelassen. Webwichtel werfen mit virtuellen Schneeflocken und Katzenvideos um sich. Wellnesswichtel wickeln ihr Klientel in wohltemperierte Wunderwatte, während wütende Wohnzimmerwichtel mit wabbeligen Waffeln werfen. Alles ist so schrecklich wichtelwichtig. warr äh narr

BürgerInnenbistro

„Euch gehts ja gut,“ sagen die Angestellten der Stadt Menden, als sie an unserem Tisch vorbeigehen oder von der Brüstung auf uns herunterschauen. Der Tisch ist einer von Dreien, die im Rathausfoyer zwischen einer langen, roten Bank und sechs, abwechselnd roten und schwarzen Sitzwürfeln stehen. Gegenüber, wo früher die Information war, ist jetzt eine geschwungene Theke mit Kuchenabteilung, ein professioneller Kaffeeautomat, etwas Gastronomieschnickschnack, fünf Barhocker und jede Menge vorbeieilendes Volk.

Neulich im Hospiz

Er hatte ein gutes Leben gehabt. Ein langes Leben. Aber jetzt war es vorbei. Er wollte dieses Leben nicht mehr. Ein anderes als seins stand nicht zur Verfügung. Alternativen sah er nicht. Sein Platz im Hospiz war bestellt, und noch während er „das Haus des friedlichen Abgangs“ betrat, ließ alles, was er die letzten Jahre zusammengehalten hatte, langsam los. Die Muskeln erschlafften, die Sehnen verloren ihre Spannung, der Rücken krümmte

RealitätsstanzerInnen

„Seid doch bitte etwas einsichtig, ihr RealitätsstanzerInnen und vertraut Euren Quantenphilosophen und Physikern“, lachten die Elfen. „Es macht keinen Sinn, die Welt in rechte Winkel einzuteilen. So, wie es keinen Sinn macht, dem kleinen Diktator Verstand die Zügel zu überlassen. Ihr habt das Alles einmal gewußt und Euch so angestrengt, es wieder zu vergessen.“ Ihr Lachen schwebte über dem Alltagslärm wie Staubteilchen im Sonnenlicht. Ein kleiner Troll drängte sich durch

wie geschmiert

Es rumort in mir, doch gleichzeitig versteckten sich die Worte. Das ist so, als hüpften tausend Bälle durch eine menschenleere Halle. Die Schere zwischen arm und reich, pah! Niemand spricht von der klaffenden Schlucht zwischen moralisch integer oder verwerflich, schon gar nicht von dem driftenden Kontinent „zu faul zum Lernen“ und der kleinen Insel „neue Erkenntnisse“. Noch zehn Jahre weiter, und wir schaffen per Volksentscheid die Menschenrechte ab. Gerade ändert

Betreuung II

“ Kannst Du auch Sonntags? Wir haben da um zehn Uhr ein Frühstück, und sie wird das nicht lange durchhalten. Wir würden dann so um elf Uhr anrufen.“ Gestern war Samstag und auch Betreuung. Um neunzehn Uhr verabschiedeten sich die Eltern zur Weihnachtsfeier. „Film ist eingelegt. Den will sie sehen. Tschüss.“ Schick angezogen verlassen die Beiden die Wohnung „Inki a da isst. Enn i da oma ma, ib opoaue,“ „Nein.

Lies! Mendener Winter

Es gibt die Theorie des im Menschsein verborgenen Campergens. Dieses Gen bringt Menschen dazu, in Bier-, Schützen- oder Weihnachtsmarktzelten einzukehren um die Kondenstropfen an der durchsichtigen Plastikfensterfolie zu beobachten. Eine andere Erklärung greift nicht, schaut man sich die Menschen bei der Veranstaltung „Mendener Winter“ an. Es ist Zwölf Uhr Dreißig. Drei Kinder stehen mit ihren Eltern vor dem Kinderkarussell und können nicht fassen, dass das Fahrgeschäft noch nicht geöffnet hat.