Heringsdorf

„Der Name klingt nett. Laß uns da Urlaub machen.“ „Aber Du magst doch keinen Fisch.“ „Da wird es auch bestimmt was anderes geben als Fisch.“ „In Heringsdorf?“ So, oder so ähnlich verlief die Unterhaltung vor circa drei Monaten zwischen mir und der Liebsten. Mit dem Zug war es zwar eindeutig zu teuer, aber Heringsdorf auf Usedom klang so verlockend, dass wir uns entschlossen, mit dem Auto zu fahren. Unsere erste

Tante Ziege

Sie wohnten in einem zweistöckigem Siedlungshaus im obersten Stockwerk. Unten war der väterliche Laden und das Lager. Zeitungen, Zigaretten, Tabak, Süßkram, Getränke, Lotto-Toto. Der kleine Gemüsegarten hinter dem Haus war Papas ganzer Stolz. Kohlrabie, Radieschen, Porree, Zwiebeln, Möhren,Tomaten, Kartoffeln und Salat, was Papa anbaute, gedieh prächtig in der fetten Erde. Er hatte dem Filius gezeigt, wie man Erde umgräbt, wie man Wildkräuter von Nutzpflanzen unterscheidet, oder gerade Pflanzenreihen anlegt. Acht

Tradition (hätt ich ja fast vergessen)

Ticktacktick. Pünktlich um 22.00 Uhr, mit Beginn der ersten Abendostermesse, verhallt das letzte Ticken des Testweckers in den, überall in der Stadt und im Wald verteilten Lautsprechern. Eine kleine Gruppe ist seither ständig in Bewegung. Die eindringliche Atmosphäre nimmt jeden gefangen, der freiwillig geht. Beten, singen, manchmal mit, manchmal ohne Unterstützung der Lautsprecher. Wandern über kerzenbeleuchtete. knorrige Waldwege, Kreuzfälle. Andere stehen abseits und doch inmitten des Geschehens. Einzelne, in sich

Neulich im Hospiz

Er hatte ein gutes Leben gehabt. Ein langes Leben. Aber jetzt war es vorbei. Er wollte dieses Leben nicht mehr. Ein anderes als seins stand nicht zur Verfügung. Alternativen sah er nicht. Sein Platz im Hospiz war bestellt, und noch während er „das Haus des friedlichen Abgangs“ betrat, ließ alles, was er die letzten Jahre zusammengehalten hatte, langsam los. Die Muskeln erschlafften, die Sehnen verloren ihre Spannung, der Rücken krümmte

Lies! Mendener Winter

Es gibt die Theorie des im Menschsein verborgenen Campergens. Dieses Gen bringt Menschen dazu, in Bier-, Schützen- oder Weihnachtsmarktzelten einzukehren um die Kondenstropfen an der durchsichtigen Plastikfensterfolie zu beobachten. Eine andere Erklärung greift nicht, schaut man sich die Menschen bei der Veranstaltung „Mendener Winter“ an. Es ist Zwölf Uhr Dreißig. Drei Kinder stehen mit ihren Eltern vor dem Kinderkarussell und können nicht fassen, dass das Fahrgeschäft noch nicht geöffnet hat.

Nikolaus

Ich hab viele Nikolause kennengelernt. Der erste Nikolaus kam in die alte Steinsporthalle mit Wannenbad. Wir mußten Purzelbäume mit abschließenden komischen Armbewegungen auf ausgetretenen, blauen Turnmatten mit speckigen Lederecken machen und bekamen ordentlich von Knecht Ruprecht, sehr zum Gaudi aller anwesenden Eltern, das Fell gegerbt. Dass Knecht Ruprecht einer meiner Trainer war, erkannte ich schnell an seiner rechten Fußstellung, die sich doch enorm von den Fußstellungen der Anderen unterschied. Den

Zwischenmahlzeit

Sie spricht langsam und deutlich zu der Bäckereifachverkäuferin. „Haben wir Wurst?“ Die Verkäuferin schaut freundlich, muß aber erst die andere Kundschaft bedienen. „Und? Haben wir Wurst?“ Fast kommt es mir wie ein Code vor. Schließlich befinden wir uns in einer Bäckerei. Gespannt warte ich auf die Antwort. Gefallen würde mir: Und? Haben wir Wurst? Ja. Aber es ist kein Wetter für fliegende Raumausstatter. Und dann tauschten sie hinter dem Backofen

Vollbremsung

 Es war noch in der Zeit, in der es möglich ist, unter Wasser zu atmen, über verdichtete Luftpömpel durch den Himmel zu hüpfen oder sich unendlich auszudehnen, als ein schepperndes, zuerst kaum wahrnehmbares, dann immer lauter werdendes Geräusch mich von der Ausdehnung zurückriss.Mit verklebten Augen und Stimmbändern nahm ich den Hörer ab. „Hab ich dich geweckt? Weißt du, was man machen muß, um so ein Fahrradschloss aufzukriegen?“ Vollbremsung in, Entschuldigung,

Das Klavier

Die Entscheidung ist gefallen. Doch denke ich, die Konsequenz erst dann zu erfahren, wenn das alte Klangmöbel von starken Menschen die Treppen heruntergetragen wird und das Haus für immer verläßt. Aber schon der Gedanke daran tut gut. Ich verkaufe das Klavier. Vor knapp drei Wochen begann ich, die mittlere Wohnung, also die Wohnung meiner verstorbenen Eltern, leerzuräumen. Ganz früher war das auch meine Wohnung.  Damals, als wir in dieses Haus

Samstagabendarbeit

Der Samstag Abend bei der Betreuung beginnt dieses Mal mit einem Schlüpferwechsel während eines Telefonats mit ihrer Freundin, den Simpsons, Pipi Langstrumpf und Schlag den Raab. Alles zusammen ist besser als „Wetten das“. Raab stapelt Kastanien. „Ha i Kinneraten macht.“ „Das hast du im Kindergarten gemacht?“ „a.“ „Und? Hast du auch zweieinhalb Millionen gewonnen?“ „a.“ „Das glaub ich dir aber nicht.“ „Oo. Erung.“ „Wie bitte?“ „Erung.“ „Werbung?“ „a.“ Kate Perry