Jetzt ist es Mai

Jetzt ist es Mai. Die Arbeiterrevolution ist ausgefallen, da nachmittags noch ein Fußballspiel war. Und mit der aufgschäumten Soja-Latte in der Hand wirkt Klassenkampf doch eher albern. Die Jugend der Stadt sucht ihr flüchtiges Glück in geruchsoptimierten Dampfwolken. Autofahrer mit Steingesicht sitzen Blech an Blech. Auf dem Pflaster vor der Metzgerei steht mit weißer Kreide geschrieben: 007. Ist das der Platz für den Bratwurstbond, mit seiner Bratwurstbraterei? Ein vermummter, grüner

Lutheroban

Da bin ich doch glatt in die Falle getapst. Na ja. Eigentlich hab ich ein Vorurteil sprechen lassen, wofür ich mich entschuldigen möchte. Vorschnell, alter narr, vorschnell. Brausemichel Söder sei gar nicht katholisch, so hab ich mich belehren lassen. Ein Lutheraner, Evangele, evangelisch sei er. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt. Also, liebe Katholibane. Noch einmal Entschuldigung dafür, dass ich Euch den Brausemichel unterschieben wollte. Aber mein

Quo vadis, germaniac

Die Aphrodite vom Wannebach und ihre Freundin aus der Pömmse kommen aus dem Fitnessraum des Krankenhauses. Alle heterosexuellen Männer in unmittelbarer Nähe erstarren und tun sich schwer, den spontan produzierten Sabber in einem Rutsch herunterzuschlucken. Die Reaktionen der Frauen in ihrer Nähe, egal welcher sexuellen Orientierung sind da unterschiedlicher. Abscheu und Empörung und Neid und egal und Sabber und Anerkennung und glänzende Augen. Nur der Stadtanzeiger schaut erst auf seine

Verdichtet

Es liegt ein Himmel über der Stadt, wie wasserschwere Federbetten. Die gute Laune flattert auf Halbmast. Es riecht nach Flüssigseife aus öffentlichen Spendern, Baggerdiesel und Schwefelwasserstoff. Der Duft der Wanderbaustelle, Der alte Mann des Musikgeschäftes steckt seinen weißhaarigen Kopf aus der Tür, schnuppert und verzieht das Gesicht. Dann wendet er sich den angeklebten Plakaten zu und reibt über jedes Stückchen Tesafilm, als wäre es sein Frühsport. Der Wind erzählt meiner

Ich weiß es doch auch nicht

Der pensionierte Realschullehrer für Arschlochkunde und rechts Außen sitzt mit seinen Zombiekumpeln in der Filiale neben den Rößler-Rentnern, den Block der Geschmacklosigkeit bildend. Ein Kunde vor dem Tresen erzählt einen schlechten Witz über Frauen und benimmt sich auch sonst wie Graf Rotz aus Fröndenberg. Der braune Block der Geschmacklosigkeit grinst anerkennend. Das könnte ein zukünftiger Kandidat für ihre Herrenrunde des Grauens werden. „Es soll ja schon wieder warm. 28°. Das

Oskarchen

Wieder ist ein Gedanke verschütt gegangen. Zu Hause noch gedacht, oh, ein schöner Einstieg, ist er zehn Minuten später in alle Winde verstreut. Verfluchte, segensreiche Vergesslichkeit, die mich gedachte Diamanten verlieren lässt, um täglich andere zu entdecken. „Der neue James Bond. Ist der wieder mit Skifahrern?“ Ich lehne mich da mal aus dem Fenster und sage ja. Daniel Craig mit Feuer und Eis und Bogner Romantik im ColdWar II Ambiente

Sonne

Zitternder Asphalt, bebendes Pflaster, die Wanderbaustelle gibt Laut an jedem neuen Ort in der Zone, der mit dem Pressluftbagger aufgerissen wird. Brüder zur Sonne zur Freiheit, Schwestern, das gilt nicht für euch. Der Stadtanzeiger geht mit vorgestrecktem, rotgeschabten Kinn und aufgestellter Brust mit pendelnden Armen, durch den Flickenparcour der Zone. Seine blaue Uniform glänzt frischgereinigt in der Sonne. Ballistol tropft aus der Acht. Die Fachfrau für Kaffeeverbrennung stellt Stühle auf.

Eine sehr gute Angewohnheit

Meine täglichen, magischen 45 Minuten sind ein Überbleibsel meiner Ausbildung zum Raumausstatter. Im ersten Lehrjahr verdiente ich 250,-DM, meine Wohnung kostete 250,- DM, und die ersten Monate, ohne Kontakt zum Elternhaus, gehörte klaufen – ich glaube, Seyfried prägte diesen Ausdruck – zum normalen Alltag. Kurze Zeit später begann ich, zusätzlich zur Ausbildung, Zeitungen auszutragen. Morgens um drei, weil die Arbeiter*innen vom Kalkwerk um halb vier die Zeitung auf dem Frühstückstisch

Ostergeschenkeumtauschbörse

„War das nicht der Baumpisser?“ „Ja“, kommt die gequälte Antwort der Bäckereifachverkäuferin. „Ich hab den erst nicht erkannt, so mit geschlossener Hose.“ Noch irrt der Erlöser durch die Wüste, offiziell auferstehen tut er ja Sonntags, doch Menden atmet auf. Der letzte Jesus machte um 6.00 Uhr seine Runde über´n Berg, das Kreuz wurde wieder eingepackt. Das, was die Menschen an Vergebung und Erlösung während der Prozession erfahren haben, haben sie

So lange schon

Der Tag beginnt mit einem leisen, aber deutlichen „Knack“. Nicht gut. Nicht schön, als ich die Konsequenzen überdenke. Knick-knack, Ärmchen ab, flüsterten wir einstmals den Koten ins Ohr, und wenn das gar nicht half auch gerne mal: „Geh doch auf der B7 spielen“. Das aktuelle Knack ist anders, wenn auch nicht neu und seit meinem sechzehnten Lebensjahr, seit ich mit meiner neuen, ersten Brille, vor lauter Verwunderung über die Klarheit