„So, Sie sind ja hier, weil wir Ihnen die Zähne beschneiden.“
Das hört sich so grausam an wie jede Beschneidung, und am liebsten möchte ich den Ort sofort wieder verlassen.
Über mir rast das hyperaktive Frettchen, oder was auch immer das ist, aus IceAge über den Bildschirm und das macht es nicht besser.
Ob es wohl psychologische Gründe hat, das zunächst, kaum dass man* im Zahnarztstuhl sitzt, nach kurzem Smalltalk und Oberflächenanesthäsie, alleine im Raum gelassen wird.
Mindestens fünfzehn Minuten.
Vielleicht soll Mensch sich erst sammeln, bevor die Beschneidung der Zähne beginnt.
Oder soll die Angst und Aufregung sich in höchste Höhen steigern.
Alle Farben des Raumes sind pastellig. Mint, bleu, ecru, und ich frage mich, warum ich für 7.15 Uhr bestellt wurde und um 7.45 Uhrnoch immer alleine im Raum sitze.
Um kurz vor Acht kommt der Doktor, und es beginnt ein wirklich übles Konzert in einer Mischung aus Einstürzende Neubauten und Rammstein mit völlig übersteuerten Frequenzen in meinem Mundraum.
Schleifen, schleifen, hämmern, flexen, flexen, hämmern, hämmern, schleifen.
Von 8.00 Uhr bis 9.10.
Und wenn ich hämmern schreibe, meine ich hämmern, bis die alten Kronen locker sind.
Es bricht und splittert, halbe Mensch, unendliche Umdrehungen pro Minute und kein Ende in Sicht.
IceAge ist durch, jetzt läuft wolkig mit Fleischbällchen und zusätzlich zum Gekreische der kleinen Schleifmaschine noch Radio, was aber nur in Fetzen zu hören ist.
Vielleicht soll ja durch die Informationsüberlastung mein Gehirn ausgeschaltet werden.
In Knete beißen, schleifen, in Knete beißen, schleifen, und noch ein drittes mal und rein und raus und Faust im Mund.
„Das hier ist das Provisorium. Wir haben das in einem Stück gemacht, dann hält das besser“, sagt die Frau, die vorher die zugespitzen Zahnstümpfe mit Fäden umwickelt hat, und lässt das Provisorium auf den Boden fallen, auf dass es in drei Teile bricht.
„Ach ja, das geht auch so“, sagt sie lapidar und schleift und prockelt und knibbelt und klebt und drückt, dass die Stümpfe fast zu Hörnern werden.
„Zu feste“, fragt sie mit einer Mikroregung von Bedauern.
„Muß aber.“ Dann legt sie noch einmal Hand an.
„Fertig für heute. Sie können jetzt spülen.“
Blutiges Wasser, grünes und blaues Plastik, eigentlich das Gefühl, keinen Mund mehr zu haben. Nur noch wabbeliges, rohes, unkontrollierbares Fleisch.
Sie verläßt den Behandlungsraum, ich bleibe allein zurück.
Ich bin doch fertig, dann kann ich auch gehen, denke ich, befreie mich von dem Latz, nehme meine Tasche und will mir an der Theke einen neuen Termin holen.
„Wir rufen Sie an, sobald der Techniker fertig ist. Aber der Doktor wollte Sie nochmal sehen.“
„Wo ist er denn?“
„Weiß ich nicht.“
„Dann bestellen Sie ihm schöne Grüße. Ich bin jetzt weg.“
Draussen, beim Entsperren des Rades, kommt der Doc aus einer Ecke.
„Grinsen Sie mal.“
Ich zeige ihm die Zähne und weise noch einmal darauf hin, dass die Schneidezähne eine falsche Stellung haben.
Das Original war schief, das Provisorium ist ästhetisch gerade und rotzlangweilig. Und meine Zunge stößt dagegen.
Er versucht, meine Skepsis zu besänftigen, was nicht wirklich gelingt.
Sollte das Endprodukt ähnlich sein, wird das noch ein aufregendes Tänzchen geben.