Da verunglückte Tätowierungen gerade die Fernsehlandschaft bevölkern, möchte ich doch auch gerne meinen Senf dazu beitragen.
Mein erstes Tattoo mit achtzehn, hab ich mir nämlich besonders gegeben.
Damals fühlte ich mich wie ein Höllenengel auf meiner 250MZ. Damals, unter den Autobahnbrücken von Bielefeld. (Gibt es einen deprimierenderen Satz als diesen?)
Ich sah also unter einer Autobahnbrücke in Bielefeld eine Tätowierbaracke.
Mit knarzender, schwarzer Lederhose und schwerer, schwarzer Lederjacke steif und breitbeinig abgestiegen, beschaute ich mit einem Selbstbewußtsein, größer als der Kölner Dom und einem Wissen, dass auf einer Nadelspitze hätte Walzer tanzen können, die bunten und klaren Abziehbildchen an der Wand.
Niemand aus meinem Freundeskreis war tätowiert.
Der Laden war klein. Eine, mit Dachpappe bezogene Bretterbude, die eher in die Favellas von Rio passte, als unter die Autobahnbrücke von Bielefeld.
Eine kleine Theke, ein Frisörstuhl in rotem Kunstleder mit Wandspiegel, zwei Baustellenfluter.
„Gestern hab ich so`nem Schwanz die Eichel tätowiert. Der war echt hart drauf“, erzählte jemand, während ich die Motive schaute.
Seepferdchen, Schwalben, Pin-ups, Schiffe, Herzen, Drachen, Fische, Schlangen, Vögel, ein Tierreich voll mit Farbe und jeweils einem kleinen Preisschild am unteren, rechten Rand.
Ich entschied mich, weil (zum Glück) das Geld für den Adler nicht reichte, für einen buntschillernden Kolibri und wollte ihn mitten auf dem linken Brustmuskel haben.
Als der Schweiß ohne eine Körperbewegung aus der Achsel tropfte, die seltsam latent kriminelle Umgebung – der Tätowierer und wer im Hinterzimmer unterhielten sich laut über die letzten Brüche und zwei Autodiebstähle – der Geruch der Farben, das schnelle Tackern der Tätowiermaschine, das alles hatte schon was.
Ich war schon immer ein Atmosphärenjunkie.
Binnen Kurzem wischte der Tätowierer die Restfarbe von der Brust.
„Das ging flott“, sagte er mit glänzendem Gesicht. „Möchtest du noch was Kleines auf den Oberarm. Mach ich gratis. Zugabe.“
Ich nickte begeistert. Zwei Tätowierungen. Was war ich für ein Mann. Und zuppzupp, hatte ich eine kleine, grüne Schlange auf dem Oberarm, knapp oberhalb der Messerimpfung.
Dass etwas nicht in Ordnung war, bemerkte ich nach ca. einem Jahr, während eines Aktshootings mit einem befreundeten Fotografen. Der hatte ein gutes Auge und meinte irgendwann:“Ich krieg Deinen Vogel nicht scharf.“
Das mochte daran liegen, dass die Konturen immer mehr verschwammen. Sowohl bei dem Vogel, als auch bei der Schlange.
Nach drei Jahren war die Farbe komplett verschwunden, der Vogel mutierte zu flatternder, schwarzblauer Matsche, die Schlange zu Etwas, was bei starken Erkältungen manchmal aus der Nase hängt. Grün.
Klar hab ich mich geärgert. Nicht über den schlechten Tätowierer, sondern über meine Dummheit.
Es dauerte über zehn Jahre, bis ich an ein neues Tattoo dachte.
Viel war passiert mit mir, mit Deutschland, mit der Welt.
Drei Gründe gab es für eine neue Tätowierung. Ich hatte ein Motiv im Kopf, ich wollte wieder so eine oder ähnliche Atmosphäre spüren und das Nadeln.
Ich wollte wirklich das Nadeln wieder spüren. Das nötige Geld hatt ich verdient.
Also ab nach Dortmund ins Kreuzviertel. Ich hatte gehört, der wär gut.
„Nee. Ich geh hier aus dem Laden raus. Aber besuch mich doch in Essen. Da mach ich ein neues Studio auf“, sagte er. „ Im Moment is stressig.“
Zwei Wochen später war ich bereit.
Leichtes Frühstück, im Radio erzählten sie von Bandenkriegen der Hells-Angles in Dänemark. Zwei Mal umsteigen nach Essen, dann stand ich da in der Fußgängerzone.
Die ist, abgesehen von dem Kloster mittendrin, so na ja. Am Ende der Zone war eine Disco, ein Haus davor der Tätowierladen.
Der Chef begrüßte mich. Er trug ein langes Messer am Gürtel.
„Meine Brüder in Dänemark sind angegriffen worden. Diese Schweine. Mit `ner Handgranate. Sicher ist sicher“, antwortete er auf meine Frage zu seiner Bewaffnung.
Dann zeigte er mir seinen, vorher abgesprochenen Entwurf. Sehr schön. Und los gings.
Bis zu diesem Zeitpunkt wußte ich nicht, daß er zu den Hells-Angles gehörte. Aber während der langen Sitzungen (es gab davon mehrer) kamen immer wieder kuttentragende Höllenengel, martialisch tätowiert mit Totenköpfen, Stacheldraht und weiterem harten, Machozeug an meinen Stuhl, beobachteten den Chef bei seiner Arbeit und verzogen spöttisch das Gesicht ob meiner Motivwahl.
Dabei ist es der Haut völlig egal, wie das Motiv aussieht. Wenn man sie sticht, schmerzt sie.
Aus den Achseln tropften Bäche. Bei Brustwarze, Niere, Leber und Steißbein war es dann doch hardcore. Das respektierten auch die Angles.
Also erhob ich mich nach dem freiwilligen Martyrium blumenrankenbeschärpt und präsentierte den feixenden Rockern mein Tattoo.
Das trage ich heute noch und freu mich jedes mal, wenn ich es sehe.
Blumen rahmen den schwarzblauen Matschkleckskolibri ein und schlängeln sich ansonsten um den Körper bis zum Po.
Und jetzt, wo ich das schreibe, stelle ich mir vor, dass auf meinem Rücken ein Ableger der Ranke durchaus Wurzeln schlagen könnte.
 
narr

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