Der Mann mit dem Wachturm ist wieder unterwegs.
Das erinnert den narren an einen Spaß aus seiner Frühzeit.
Es war Mai, heiß, der narr noch jung und die Fenster dreckig. Also putzte der narr die Fenster zur Straße hin.
Mit nacktem Oberkörper. Gut gebaut, braun gebrannt, noch unbekränzt.
Heißheißheiß. Die Pheromone flogen nur so hin und her. Die Nachbarn pfiffen, den Nachbarinnen glänzten die Augen. Es kam eine junge Frau vorbei und sprach den narren von der Straße aus an.
“Wachturm gefällig? Schon mal was von den Zeugen Jehovas gehört?”
Der narr ritt auf dem Teufel, denn nun begann der narr zu flirten. Mit aller Intensität. Sein Oberkörper glänzte, der Schwamm im Putzeimer war schaumig, das Wasser tropfte mit weißen Flocken.
Er versenkte seine Augen tief in die scheuen, religiösen Rehaugen, ihre Lider flatterten, sie wurde zusehend nervöser, ihre Bewegungen fahriger. Ihre kleine, spitze Zunge befeuchtete unbewußt ihre Lippen, ihre Körperhaltung wechselte von starr fahrig zu fließend angenehm.
Sie fühlte sich begehrt, und sexuelle Begierde ist ein anderes Gefühl als religiöse Erweckung. Gier und Religion gehen nur ungern Hand in Hand. Nur, wenn die Religion Lust heißt. Was beim narren damals durchaus der Fall war. Lust auf Leben, Lust auf Erfahrung, Lust auf Berührung, außen wie innen.
Die Zeugin jedenfalls versuchte noch den einen oder anderen religiösen Werbespruch loszuwerden, verhaspelte sich aber ständig, bis sie, weich und durcheinander, schnell weiterging.
Heute arbeitet sie in der Gemüseabteilung und grüßt verschämt, wenn sie den narren sieht.
Die Engel haben Blähungen, und himmlische Flatolenzen beuteln die städtischen Baumkronen.
Beschränkte Mendener Dummdoofnazis haben ein kleines Mahnmal beschmiert. Der braune Schoß ist immer noch furchtbar fruchtbar.
Knobelbecher. Eine Frau trägt modische, mit Schaffell gefütterte Knobelbecher und dem narren fällt ein, daß Beckmann noch keine Fußbekleidung hat. Aus Übungszwecken hat der narr den kompletten Beckmann plus kleine Dialoge plus Anschlußsätze auf Band gesprochen. Und das rein Gesprochene dauert schon weit über zwei Stunden. Der narr ist gespannt, ob es eine Pause geben wird
Eine Pause würde vieles zerreissen. Dem fünfundvierzig-Minuten Publikum wird es nicht gefallen.
Die magische Zahl fünfundvierzig. Mehr traut der durchschnittliche Kulturproduzent dem Publikum nicht mehr an Aufmerksamkeit zu. Fünfundvierzig Minuten. Dann müssen Pause und Erholung her. Oder ne Zigarette und ein Bier. Und die Zeitspanne wird langsam zurückgeschraubt auf dreißig Minuten, und die auch noch unterbrochen von Werbeeinblendungen. Das Publikum wird medial zu Idioten traniert.
Ist gar nicht so schwer, und alle können mitmachen.
narr