„Ich würde mich schon gerne neben Sie hinsetzen“, haucht eine alte Dame am Rollator. Sie bildet die Worte fast lautlos mit ihren Lippen. Dabei rollt sie die Augen und nickt mit dem Kopf in Richtung einer jüngeren Frau.
„Setzten Sie sich. Der Kaffee geht auf mich.“
Langsam kommt sie näher. Die jüngere Frau redet mit der Verkäuferin, ist abgelenkt und ein spitzbübisches Lächeln erscheint auf dem Gesicht der Dame, während sie sich neben mich setzt.
„Sie ist die Strafe für meine Verfehlungen im Leben“, raunt sie. „Dafür, dass ich meine beiden, verstorbenen Ehemänner betrogen habe. Sie waren gute Männer, aber sexuell sehr langweilig. Und wenn ich in der Abschiebehaft einen Mann nur anlächle, kommt die und schimpft mit mir.“
„Abschiebehaft“, frage ich erstaunt.
„Sie sagen Seniorenheim dazu. Aber erstens sind fast nur Seniorinnen da, und Heim“, sie schaut mich an, „kennen Sie den Ursprung des Wortes ‚Heim‘? Kommt von Heimat, heimelig, daheim. Aber das da“, sie nickt in Richtung des Altenzentrums, „ist eher unheimlig.“
Dann lacht sie.
„Letzte Woche hab ich einen Blick ins Stationsbuch geworfen. So aus Neugierde. Entweder sind die Pflegehelferinnen alle Legasthenikerinnen oder so…“ Sie seufzt tief. “ Unbedarft. Ich tippe auf Letzteres. Also hab ich meinen Stift gezückt, die Fehler angestrichen und ein ‚Ungenügend‘ daruntergesetzt.“
„Sie sind Lehrerin?“
„Deutsch und Geschichte. Sekundarstufe II. Und die korrekte Form heisst: ‚Sie waren Lehrerin'“.
„Och. Ich glaube, Sie sind es noch.“
„Stimmt. Ich kann wohl nicht anders. Ich muß wieder los. Sie hat ihren Zeitplan.“
Wie auf Kommando kommt die jüngere Frau, hilft ihr beim Aufstehen, lächelt mich an und bringt die alte Dame behutsam vor die Tür.