Kleiner Deich mit Wiese und Löwenzahn, zwei Anlegemolen, Sonne, die im Wasser glitzert

Hier ist Grenze.

Drei Wochen konzentriertes Arbeiten an fünf Astronautenanzügen für den Presseklüb, vorher Premiere des neuen Programms, jetzt eine Woche Friesland, Urlaub in der Ferienfestungsanlage ‚Esonstad‘ mit insgesamt acht Menschen und drei Hunden, zwischen Astronautenanzug und dem Jetzt noch ein Gast mit einem großen, dicken, alten, schwarzen Labrador und einem großen schlanken, jungen Labradudel, der sich allerdings wie ein armenisches Springschaf benimmt, sind ausreichend, meine Langmut herauszufordern.

Ziemlich grenzwertig, wenn morgens , direkt nach dem Aufstehen dieses armenische Springschaf vor mir, quasi auf Augenhöhe, steht und mich anstarrt.

Hmpf.

Dann fahren die Liebste, der Hund und ich in die Niederlande für den jährlichen Familienurlaub und werden dort von vier Erwachsenen, zwei Kindern und zwei Hunden empfangen.

Aus dem Feuer in die Pfanne, wie es Sam Gamdschie zu sagen pflegte.

In der Festung weht ein laues Lüftchen, geht man über den Deich, haut`s einen fast von den Füßen und die Ohren frieren ab.

Wolkenloser Himmel, in den betrunkene Flying Dutchmen Herzchen und Kringel mit ihren Militärmaschinen malen.

Meine Grundstimung ist seltsam. Unzufrieden?

Angenervt von Menschen, so generell?

Norah Jones singt in der Festungskneipe vom Band, das ist doch gut.

Ansonsten finde ich eher alles angekrampft.

„Ich kitzel dich, bis deine Eingeweide platzen“, sagt der fremde Urlaubsnachbar zu seiner Tochter.

Das trifft es im Wesentlichen.

Es stimmt nicht von der Wurzel an, heißt Hab und Gier statt Hab und Gut, aber das hab ich auch schon vor zehn Jahren geschrieben, ist also nicht besonders originell.

Nein, ich denke, es ist ein generelles genervt sein von Menschen, menschlichen Reaktionen, Handlungsweisen und Handlungsanweisungen.

Ich bin, so viel steht fest, nicht glücklich.

Aber auch nicht unglücklich.

Flatline im Wohlfühlmodus.

Das wird auch im Indoor-Spielplatz der Festungsanlage nicht besser.

Draußen weht es die Tinte aus dem Füller, drinnen kreischt es die Ideen aus dem Kopf.

Eine Treppe, die vom Deich zum Anleger führt, im Hintergrund ein kleiner Ausflugskutter, Wasser, blauer Himmel.

Im Moment halte ich das Konzept ‚Mensch‘ für gescheitert.

Achthundertachtzig Millionen Euro für eine abgebrannte Kirche in zwei Tagen – RWE spendet fünfzigtausend, läßt aber gleichzeitig den Immenrather Dom, denkmalgeschützt, für Kohle abreißen, es wäre genug Geld vorhanden, um Hunger und Armut abzuschaffen, aber so ist der Mensch eben nicht.

*singt: Jungs, wir machen die Welt kaputt.

Die drei Hunde bellen bei allem, was vorübergeht, sei es Ente, Schwan, Schmetterling oder FußgängerIn.

Das ist nicht erholsam.

Dafür brennt die Sonne.

Licht auf meine Haut. Heißes Licht für den Oberkörper, bis der Schweißfilm komplett ist.

Das ist erholsam. Wenn die Hunde nicht kläffen.

Schon erstaunlich. Ich hab in Gorleben, auf der Rampe, unter einer Plastikplane, die von Wasserwerfern und der Polizei zerrissen wurde, geschrieben, in Ottensen mitten in einer Demo, im dicksten Gewühl, gesessen und geschrieben, auf der Kirmes, selbst im kotzigen Karnval hat mich das Uftata nicht abgehalten, aber drei kläffende Hunde gleichzeitig zerfetzen meine Konzentration mit rasiermesserscharfen Krallen in kleine, unzusammenhängende Schnipsel.

Ich fühl mich wie der Graf von Monte Christo,

vor seiner Flucht aus dem Verlies.

In dieser großen Urlaubsfestung

ist das Familienparadies.

Die Betten weich und voller Plastik,

mein Po steckt in den Stühlen fest.

Hier ist die Künstlichkeit zu Hause

und der Wind gibt mir den Rest.

Hier zerren Eltern ihre Kinder auf die Fähre,

auch wenn die schreien wie am Spieß.

In dieser großen Urlaubsfestung

ist das Familienparadies.

Drei Mädchen hängen in den Gummis

drehn Salti manchmal elegant

taugt leider nicht für meine Flucht

so weit reicht kein Gummiband

Ein Boot, ein Fahrrad, eine rote Telefonzelle, innen ein Papppolizist, alles vor einer Garage.

In drei Kilometern Entfernung ist ein Dorf. Ein COOP, eine Windmühle, eine Pommesbude und eine Metzgerei. In der Festung ist auch ein Supermarkt, eine Bäckerei, eine Pizzeria und ein Brasserie-Restaurant-Cafe.

Die Windmühle wird in den Wind gedreht, und es sieht aus, als zöge der Mühlenmeister sie auf wie eine große Spieluhr.

Würde mich in dieser künstlichen Umgbung nicht wundern. Ansonsten Schafe und Osterlämmchen. Fleisch für die Feuerstellen der Zellennachbarn.

Die Autokennzeichen auf dem Festungsparkplatz sind zu zwei Drittel Ruhrgebiet, HochauerländerInnen sind auch da. Jede Menge Bratwurstpotenzial.

Kultureller Austausch.

Die HolländerInnen kommen zum Skifahren ins Sauerland, die SauerländerInnen zum Seeluftschnuppern nach Friesland, oder zum Tretbootfahren in den kleinen Grachten der Festungsanlage.

Eine Stunde Kettcar mieten fünf Euro.

Das Maskottchen der Festung seh ich zum Glück nur aus der Ferne. Irgendwas mit Bollo oder Pollo. Aber wie ein Huhn sieht das Ding nicht aus. Angeblich soll es eine Foltermethode entwickelt haben, bei der es auf holländisch und deutsch vorliest.

Deswegen verhalte ich mich so unuffällig wie möglich bis zur Entlassung, was nicht so einfach ist, da mich plötzlich fünfzehn RussInnen auf Instagramm verfolgen.

Am Tag vor der Entlassung legt die Sonne noch einen Brikett extra auf. Mein Körper kann es gar nicht fassen und öffnet alle Poren. Das tut so gut. Mir wenigsten.

Am Tag der Abreise übernehme ich die Rückfahrt, da es meiner Liebsten etwas kodderig ist, was sich im Laufe der Heimfahrt fast zu einem Kollaps ausweitet, und der Hund kotzt zwei Kilometer vor zu Hause auf seine Decke.

Unser Gast sitzt schon abreisebereit im Auto, als wir eintreffen. Gutes Timing.

Jesus rennt noch über den Berg, meine Liebste fällt krank ins Bett, aber wir sind wieder daheim.

Allein.

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