Tag. Es wird Tag. Mein Hochzeitstag soll es sein. Die Vögel singen, der Hund bellt, auf der Mosel spucken Last- und Personenkähne Schweröl in die Luft, ein rotgewandeter Hubschrauber landet knatternd auf der gegenüberliegenden Flussseite.

„Schauspieler. Die brauchen jeden Pennie“, sagt die weißhaarige Frau ab sechzig aufwärts am Nachbartisch.

„Die verrücktesten kommen aus Jamaica.“

„Aber die Japaner sind noch verrückter“, fachsimpeln sie zu dritt. Dann stellen sie fest, dass die aber nicht deutsch sind, weil die Deutschen immer im Ausland seien und nur, wenn sie Geld bräuchten, in solchen Dschungel- Koch- WG- Shows auftreten täten. Das reiche denen.

Sie reden, wie sie riechen. Muffige Pudrigkeit mit einem ungesunden Hauch von feuchtem Totholz.

Jedes Sein hat einen eigenen Geruch.

Im letzten Jahrhundert trug ich Plateauschuhe, Frangipani, einen grünen Muppetmantel und eine selbstgenähte lila Kappe, die stark an ein Bügeleisen erinnerte.

Wer ohne Geruch ist, werfe den ersten Flacon.

Es ist kein schöner Zustand. Das Hirn so mit Ideen zugestopft, aber keine davon in die Tat umgesetzt.

„Sei wie ein Fluß“, raunt der innere Überlebenstrainer, aber er meint es bestimmt metaphorisch, Entweder sind die Wasserstraßen gerade ausgetrocknet, oder sie fluten Landstriche, mit katastrophalen Folgen in beiden Zuständen.

„Tief durchatmen“, raunt er weiter. Aber gerade fährt ein alter Traktor mit Güllehänger vorbei und es stinkt nach Diesel und Schweinescheisse. Nichts, was ich lustvoll inhalieren würde wollen.

Ruhe entsteht hier, an der Uferpromenade, nur, wenn die Ampel eine lange Rotphase hat. Dann höre ich Spatzen in den Gebüschen und Schwalben in der Luft.

Doch schnell ist´s um die Ruhe geschehen, und Leiser-Biker mit brüllenden Auspuffrohren, SUVs und hochpreisige Arschlochautos für zwei Personen wechseln sich ab in der Polonaise der Umweltverschmutzer.

Zur müden Ehrenrettung: es gibt auch FahradfahrerInnen, die manchmal, aufgereiht wie an einer unordentlichen Halskette, den FußgängerInnen den Platz auf dem gemeinsam zu nutzenden Weg streitig machen. Ernsthaft. AmateurfahrradfahrerInnen, die im Urlaub mal radeln möchten, benehmen sich wie AutofahrerInnen. Rücksichtslos.

Eine Speisekarte des veganen Hotels (dazu komme ich später) bietet unter Anderem paniertes Erbsprotein mit Omega 3 an. Klingt etwas wie eine Mahlzeit aus der Raumschiffkombüse auf dem Weg zum Pluto. Als Vorgeschmack für kommende Generationen, weil der Planet die Schnauze voll hat vom Homo Destruktivus.

Wein auf Schiefer, und so steil angelegt, dass ich vermute, dressierte Bergziegen erledigen hier die Weinernte. Wären es Menschen mit arbeitsgerechter Entlohnung, müsste jede Flasche an die 100,- € kosten.

Hier werben die Hauswände mit: neunzig Betten, jedes Wochenende Tanz, Bundeskegelbahnen.

Überhaupt scheinen die Häuser an der Uferpromnade fast alle in den Achtzigern des letzten Jahrhunderts renoviert worden zu sein. Einige grüßen auch aus den Sechzigern.

Unser Hotel ist von 1881. Auch hier wirken die Zimmer und Fassade wie hundert Jahre später runderneuert.

Die Zimmerschlüssel sind slartigbartfass für Schlüssellöcher, in denen man die Mechanik mit einem gebogenen Nagel bewegen kann. Das Zimmer ist 80ger-Vintage mit Heizkörpern, wuchtig wie ein Flugzeugträger. Der Frühstückssaal ähnlich, zusätzlich Musik, bei der ich als Kind mitgeraten habe. Erkennen Sie…die Melodie, mit Ernst Stankowski.

Das Buffet vollumfänglich vegan. Was wirklich interessante Auswirkungen hat.

Selten so viele unterschiedliche Menschen im Hotel gesehen. Jung, alt, bunt, barfuss, viele tätowiert, freundlich.

Einige, wir auch, mt Hund. Was leider adrenalinbedingte Einschlafprobleme mit sich bringt, da das Tier, gerade in den Momenten des Wegsackens, uns warnt vor Schlüsselklappern oder Schritte auf dem knarrenden Flur, mit anderen kommunizierenden Hunden reden will, oder kurz fragt, ob wir noch wach sind.

In der Weinstube des Hauses, klein, alt, schnuckelig, nehmen wir, schließlich ist Hochzeitstag, ein veganes 4-Gänge-Menü zu uns. Der Chef kommt aus der Küche und weist, nach einem kurzen Schnack, auf das Loch im Boden mit abschließender Glasplatte hin. Dort unten, im feuchten Keller, gedeihen prächtige Shitake und Kräuterseidlinge. Schöne Idee der Raumnutzung.

Sehr lecker das alles, und im Hintergrund spielt leise Jazzmusik.

In der Nacht kurz gedacht, dass da auch Psylocibine in dem Menü verarbeitet worden wären, da ich einen Moment glaube zu halluzinieren. Ein Licht wandert durch das Zimmer und will nicht aufhören zu wandern. Erst dachte ich an vorbeifahrende Autos, aber es war recht still. Also aufgestanden und zum Fenster. Ein hellerleuchteter Personenlastkahn gleitet, in völliger Stille und Dunkelheit, die Mosel abwärts. Spooky.

Am nächsten Morgen wieder Erkennen Sie die Melodie, dann ein touristischer Spaziergang durch Zeltingen Rachtig. Es riecht nach Kirmes, was von der Fischbude mit Biergarten längs der Promenade kommen mag. Vielleicht auch von der angrenzenden Wohnmobilausstellung vor den Müllcontainern auf dem unbefestigten Schotterweg ohne Grünstreifen. Da sitzen sie plautzig in Liegestühlen wie auf einer Abraumhalde und verbrennen Fleisch auf improvisierten Grillparzellchen.

Wenn die Welt in Flammen steht, hocken wir uns hin und braten eine Wurst.

Am späten Nachmittag dann Sauna. Es ist ein Aha-Erlebnis. Tief drinnen vermute ich eine Sauna aus den Achtzigern, mit dunklem, speckigen Holz von tausend nackter Hintern, aber hui.

Ein großes Schwimmbecken mit Buddha vor Kopf, ein mit Glastüren getrennter Saunabereich, mit drei, ziemlich neuen Saunen, ebenfalls mit Glastüren.

Das Publikum kenne ich aus dem Frühstückssaal. Die Genanz hält sich in Grenzen. Zwei Studentinnen aus Trier mit vielen, kleinen Tatoos sind, laut ihrer Erzählung, das erste Mal in der Sauna. Wir betraten zeitgleich das Gelände, bei ihnen hält der Aha-Effekt länger an. Zwischen Keuchen und Schweiß entfleucht immer wieder ein begeistertes: Oh wie schön.

Generell ist die Stimmung der gesamten Gästeschar entspannt freundlich und aufgeschlossen. Vielleicht liegt es am Essen. Vielleicht auch daran, dass es ein, mit Hingabe und Empathie geführtes Familienunternehmen ist. (Das dringend personelle Unterstützung braucht)

Am letzten Abend gibt es in der Sonnenuhr rustikale, vegane Burger mit leiser Country-Pop-Beschallung. Alles in Allem war es eine hervorragende Idee der Liebsten, dieses Hotel für uns zu buchen.

Bei der Verabschiedung stehen schon die ersten Neuankömmlinge vor der Rezeption. Die Rückfahrt ist noch zäher als die Hinfahrt. Google sagt drei Stunden lang, dass wir noch eine Stunde und neunundzwanzig Minuten brauchen. Autofahren ist kein Vergnügen.

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