Hoffentlich.

Die letzten zwei Seiten meines Notizbuches sind noch unbeschrieben.

Hoffentlich das letzte Mal, dass ich es in einer Zahnarztpraxis öffnen muss.

Mag nicht mehr von Männern mit dicken Fingern in den Mund gefasst werden. Zumindest nicht die nächsten Jahre und nicht mit Harry Potter oder IceAge unter der Decke.

Die Wartezimmerwerbung spricht von jugendlichem Lächeln mit Keramikverblendungen.

Wieso habe ich mich nicht dafür entschieden.

Der Keramiklächler mit der Concertina. Fast ein Programmtitel.

Fünfzehn Minuten nach dem Termin sitze ich wieder alleine im Zahnarztstuhl. Allerdings kommt recht schnell jemand, die das Provisorium herausprockelt.

Der Arzt erscheint mit dem fertigen Werkstück, und das erste Einsetzen treibt mir erstens die Tränen in die Augen, zweitens sitzt es so fest, dass wieder die kleine Ramme benutzt wird, um es loszukriegen, damit der Zementierungsvorgang begonnen werden kann.

Schnüre in den Zahnzwischenräumen, und ein wenig erinnere ich mich an einen Schrumpfkopf, dessen Mundnähte aufgegangen sind.

Dann einsetzten mit Zement. Druck von unten.

„Drücken Sie mit Ihrem Kopf dagegen.“

Zubeißen mit Tampons zwischen den Zähnen, was ich hasse.

„Mindestens fünf Minuten. Dann ist der Zement gequollen.“

Das Wasser steigt in der Mundhöhle, macht die Tampons klatschig saftig und beißen.

Die Fäden saugen sich voll, denke ich und sehe schon meinen Speichel die Schnüre hinabperlen.

Schlucken möchte ich nicht, wegen der vermeintlichen Zementkrümel im Mund.

Kurz vor dem Ertrinken kommt die Frau, die das Provisorium herausgeprockelt hat.

„Ich muß die Zementreste entfernen, sonst entzündet sich das Zahnfleisch. Das könnte jetzt etwas pieken.“

Bevor ich überlaufe, saugt sie noch etwas Speichel ab, dann beginnt sie, mit spitzem Werkzeug, mir wehzutun.

„Ich mach auch ganz vorsichtig“, sagt sie immer nur dann, wenn es besonders schmerzt. Sie kratzt am Zahnfleisch und es fühlt sich an, als benutze sie dazu Stacheldraht.

Ab und zu reißt sie an einer der zahllosen Schnüre, die kleine Knoten gegen Zementrückstände haben und locker den Oberkiefer durchsägen könnten.

„Ich mach auch ganz vorsichtig“, während Tränen, Schweiß und Speichel fließen.

Als Höhepunkt der Wahrnehmung erscheint eine zweite Assistentin, die saugt von links, während die andere von rechts am Zahnfleisch reißt.

Richtig spooky wird es, als beide sich, mit Mundschutz, über mich beugen und synchron Kaugummi kauen, während sie in meiner Mundhöhle saugen und reißen.

Dabei fällt mir aus Verzweiflung auf, dass der Fernseher an der Decke abmontiert wurde und nur ein gerolltes Kabel aus der Decke hängt.

Und zurück zu den zwei vermummten Widerkäuerinnen. Saugen, reißen.

„So, das ist jetzt die letzte Schnur, ratschrubbel, dann sind Sie erlöst. Der Doktor schaut sich das noch einmal an, korrigiert vielleicht noch etwas, dann können Sie gehen.“

Ich spüle den Mund aus und sehe weniger Blut als erwartet.

Die Saugassistentin verschwindet, damit der Doktor noch ins Zimmer passt.

„Klappern Sie mal. Alles gut?“

Und nein, noch nicht ganz gleichmäßiger Biss, Wieder Faust im Mund und schleifen, dass die Glaskörper in den Augenhöhlen vibrieren.

„Besser?“

Ich sag ja. Meine Mundsensorik schreit. Von ihr bekomme ich keine alltagstaugliche Aussage.

Ich wünsch mir das Ende herbei, was dann auch irgendwann, nach mehrmaligem auf Papierstreifen beißen und nochmal schleifen, ganz plötzlich, nach dem Polieren der Zähne, da ist.

Der Doktor hält mir, wie ein Friseur nach einem Haarschnitt, einen Spiegel hin.

„Und? Gefällt es Ihnen?“

Ich grunze, weil ich noch die Schwingungen des Polierers schmecke.

„Mit der Schiefstellung, wie Sie es wollten“, sagt die Frau, die geprockelt hat, und es hört sich fast ein wenig an wie wehe-es-gefällt-ihnen-nicht.

„Gut“, nuschle ich und wische mir die restlichen Tränen von der Wange.

Der Doktor gibt mir die Hand, lächelt freundlich und verschwindet, was ich sogleich auch tue. Das Notizbuch ist voll.

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