Der vierte Tag in Folge mit linksseitigen Kopfschmerzen. Von hinten ins Auge.
Der linke Pfeiler des Himmels fühlt sich an, als glühe er an der Spitze. Schlucken schmerzt.
Angespannte Haut, wie bei einer Schwellung, nur ohne sichtbare Schwellung.
Es sticht ins Ohr, es sticht ins Auge. Plötzlich. Ohne Vorwarnung. Der Trigger ist noch nicht gefunden. Aspirin greift nicht.
Wenn es sticht, speichelt mein Mund vor Übelkeit ein, Essen macht da keinen Spass.
Und der Tanz wird wilder.
Der Schmerz breitet sich halsabwärts aus. Jetzt glüht nicht nur der Pfeiler, der Knubbel kurz darunter brennt lichterloh. Die linke Halsseite schmerzt bei Berührung. Die linke Augenbraue brennt, das Auge tränt, das Wartezimmer ist brechend voll und mein Arzt ist nicht da.
Plappernde PatientInnen, die sich über meinen Kopf hinweg Belanglosigkeiten zu werfen.
Da alle schon hoch im Rentenalter sind, die Ohren nicht mehr die Besten, ist die Lautstärke dementsprechend. Allerdings wird es schnell leerer. Die Routiniers sind durch.
Es ist Frauenkarneval, und in Hanau hat ein Nazi 10 Menschen ermordet.
Der Doc, nicht mein Doc, ist nicht so symphatisch und redselig, will Blut von mir, horcht mich ab, mißt Blutdruck, tastet meinen Kopf ab, verschreibt mir Novaminsulfon und eine Überweisung zur Radiologie im Krankenhaus.
Auf die Frage dort, ob ich einen Termin wolle, antworte ich: “Am liebsten jetzt.“
Kurzes Stutzen, dann Nicken. Das Kompliment vorher:“Sie tragen gar keine Pappnase. Das macht Sie symphatisch“, scheint zu wirken.
„Könnte ’ne halbe Stunde dauern“, sagt sie, aber nach fünf Minuten stehe ich schon mit nacktem Oberkörper und weit geöffnetem Mund an der kalten Rückenplatte des Röntgengerätes, mit Bleischürze für den Unterleib und bin nach zwei Minuten fertig.
Das Novaminsulfon wirkt mäßig bis gar nicht und schmeckt wie konzentriertes, eingedicktes RedBull.
Die nadelspitzen Dornen tanzen jetzt vehement die linke Seite des Kopfes rauf und runter im Rhythmus des Herzschlags den pulsierenden Schmerztanz.
Wär ich ein game und mein Kopf die Leiche, hätte ich dort, am glühenden Pfeiler des Himmels, einen rot blinkenden Sprengsatz deponiert. Finger weg, sage ich meinen Fingern, aber die kümmern sich nicht darum und drücken und reiben bis zur nächsten Explosion.
Der Röntgendoktor ruft mich, macht einen lahmen Witz über meinen Nachnamen, zeigt mir auf dem Monitor die zwei Aufnahmen und meint gewichtig beschwichtigend, dass meine Halswirbelsäule fast auf den Felgen führe und dass das allgemein als SekretärInnen-Syndrom bezeichnet würde.
„Sie verstehen? Kopf gebeugt über der Tastatur. Da kann es auch zu Spannungskopfschmerzen kommen. Ist aber normal in unserem Alter. Ich fax es Ihrem Hausarzt.“
Dann bekomme ich einen Anruf von der Mutter meiner Betreuungsklientin. Sie, die Mutter, müsse morgen früh um Acht beim Arzt sein. Notfall, das frisch operierte Knie habe sich entzündet. Yeah.
Die Nacht war lang, ohne Schlaf, dafür Höllenfeuer im Gesicht.
Um halb acht bin ich bei der Klientin, ich helfe der Mutter in die Schiene, dann in die Hose, und sie vermutet, dass sie wieder ins Krankenhaus muß. Die Klientin selbst ist sehr erkältet und verteilt ihr Sputum während der Toilettengänge sorgfältig in der ganzen Wohnung.
Die Geschäftsstelle des FuD organisiert für mich eine Ablösung, inclusive einer eventuellen Notunterbringung, Kurzzeitpflege, für die Klientin.
Um halb eins kommt die Kollegin, kurze Übergabe – wir bleiben in Kontakt – ab nach Hause, bzw. in die Apotheke, um ein anderes Schmerzmittel zu besorgen. Der Apotheker sagt trocken: “Oh. Das sieht ja aus wie eine Gürtelrose. Ist selten im Gesicht. Das sollte sich der Arzt aber nochmal anschauen.“
Also schnell in die Praxis, fußläufig zwei Minuten entfernt. Eigentlich ist schon Feierabend für sie, aber sie lassen mich noch kurz rein zum Doc, dem es, nach einem Blick auf mein Gesicht, sichtlich peinlich ist, gestern eine falsche Diagnose gestellt zu haben, denn sofort sagt er Gürtelrose, schreibt neue Medikamente auf, erklärt die Handhabung, schreibt eine Überweisung und rät mir, sofort zum Augenarzt zu gehen, da das linke Auge auch betroffen sein könne. In der Apotheke erkläre ich den Sachverhalt, bekomme die Medikamente und – und dafür liebe ich meine Nachbarschaft – die Tochter des Chefs ruft bei einem Augenarzt in der Nähe an, insistiert, und in zehn Minuten soll ich da sein. Es ist Freitag Nachmittag, kurz vor halb drei.
Fünf Arzthelferinnen hinter der Theke schauen mich an, nehmen meine Daten auf, dann zwei Untersuchungen, wohl zum Zweck des Geldflusses, irgendetwas muß ja abgerechnet werden, lesen Sie die obere Zahlenreihe, dann rein zum Arzt, der unangenehm weiß wirkt. Weiße Birkenstocks, weiße Socken, weiße Hose, weißes Hemd, weißer Kittel, weiße Haare, bleiche Haut.
Erst schaut er ins rechte Auge und sagt: “Nö, da ist aber nichts“, und ich nuschle, mit dem Kinn auf irgendeiner Apparatur: “Linkes Auge“, und er:“Ach so“, schaut mit Licht ins linke Auge, ja, da seien ein paar Punkte, aber unbedenklich, und schreibt mir eine Augensalbe auf, die den Virus blocken soll. Viertel vor drei stehe ich wieder auf der Straße und bin ziemlich durch den Wind, da jetzt jeder Luftzug wie ein Peitschenhieb ins Gesicht wirkt.
Ich will nur noch nach Hause.
Kann mir jemand bitte einen neuen Kopf klonen?