Ich bin dann doch eher naiv im Umgang mit dem Krankenhaus.
Zumal ich es von innen nur als Besucher kenne, nicht als Insasse. Als Besucher sind die Erfahrungen so 50/50.
Die Oma hier verstorben, der Vater ebenfalls, der Umgang mit pflegeintensiven Patienten ist eher ausbaufähig. Druckstellenfrei rein, mit Dekubitus wieder raus, ist so oft Tatsache, dass es fast normal scheint.
Das heißt, die Grundstimmung ist eher verhalten, wenn ich an dort oben denke. Aber ich stehe, mit gepacktem Rucksack, vor dem freundlichen Krankenhausrezeptionisten, der reicht mich weiter zur Patientenannahme.
An der Tür brennt grünes Licht, also trete ich ein. Eine Frau hinterm Schreibtisch telefoniert, schaut mich an, zieht eine Augenbraue hoch, was ich als Aufforderung zum Hinsetzen nehme.
Sie beendet das Gespräch, ich schieb ihr die zwei Formulare meines Hausaztes entgegen.
„Hm. Nabelhernie. Sind sie schon untersucht worden?“
„Hätte mich mein Hausarzt sonst hierher geschickt?“
„Nein, ich meine hier. Sie müssen hier erst untersucht werden. Dafür brauchen Sie einen Termin. Dritter Stock, am Ende des Ganges rechts. Da bekommen Sie einen Termin.“
Sie gibt die Forulare zurück, ich nehm das Treppenhaus. Menschen in grünen Kitteln, grüner Haube und hängndem Mundschutz kommen mir entgegen. Dabei fällt mir auf; bis jetzt hab ich, bis auf den kleinen, unscheinbaren Apparat im Foyer noch nirgendwo einen Desinfektionsapparat für Hände gesehen. Mein Zahnarzt hat den direkt im Eingangsbereich, unübersehbar. Das Krankenhaus scheint keine Problem mit multiresistenten Keinem zu haben.
Ich klopfe da, wo Anmeldung steht.
„Herein“, und wieder eine telefonierdende Angestellte.
Sie redet und redet, und als ich ihr die Formulare auf den Tresen lege, schaut sie mich so blasiert an, als hätte ich ihr einen unanständigen Antrag gemacht, hört aber nicht auf, ins Telefon zu sprechen. Also schiebe ich die Formulare näher an sie heran, auf das ein. „Warte mal kurz, ich hab hier einen Patienten“, folgt.
Jetzt schaut sie mich direkt blasiert mit einer Spur Verärgerung an, da ich auf ihre Äußerung: „Noch bin ich nicht Patient“ erwidere.
„Ja?“
„Tut mir leid, wenn ich Ihre Routinen störe. Ich bin das erste Mal im Krankenhaus. Sehen Sie es mir nach, wenn ich etwas falsch mache.“
Und zack. Schon ist sie, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, etwas freundlicher.
„Haben Sie einen Termin? Wurden Sie schon untersucht?“
„Nein, und ja. Von meinem Hausarzt.“
„Nee von uns.
Passt es nächsten Montag?“
„Ja.“
Sie schreibt, mit runder Kinderschrift, rechts oben auf das Formular „Ambulanz 15.00 Uhr“ und reicht mir den Zettel.
„Schönen Tag noch.“
Um die Woche Wartezeit zu verkürzen, eine kleine Anekdote am Rande.
Bevor mein Vater, mit kaputtem Herz und kaputter Lunge ins Koma gelegt wurde, aus dem er nicht mehr erwacht ist, fragte der Arzt sowohl Mutter als auch mich – wir waren krank vor Angst und Sorge – ob er noch Karten für das Theater bekommen könnte.
Das war ein sehr arschiger und unsensibler Arzt.
Eine Woche später stehe ich vor der Anmeldung der Ambulanz, gebe die Formulare ab und bin zehn Minuten später schon in einem Raum ohne Fenster mit viel Apparatur und einer Liege.
Der Arzt entspricht dem Klischee, Birkenstock, weiße Hose, blaues Poloshirt, kurzer Bart, graumellierter Stoppelschnitt, und er sieht aus wie der junge Peter Lustig.
Er tut mir weh, als er, mit Smalltalk, meinen Bauch eindrückt um den Bruch zu suchen. Dann Paste, dann Ultraschall. Er macht drei Fotos, der Spalt ist klein, Netz nicht nötig, Mittwoch Vorgespräch, Donnerstag der Eingriff.
Am Mittwoch ist der Termin um 10.00 Uhr, um halb elf werde ich von einer Praktikantin in Blau aufgerufen. Wir gehen durch einen Gang, in dem rechts und links Türen offenstehen. Menschen liegen auf Liegen, werden gespritzt, verbunden, oder was man* eben so an Menschen macht. Ein Raum ist menschenleer.
„Es kommt gleich jemand“, haucht die Praktikantin und verschwindet. Fünfzehn Minuten später eilt ein Mann in den Raum, steht mit dem Rücken zu mir, grummelt so vor sich hin, quetscht dann, zwischen zusammengebissenen Zähnen, ein „Morgen“ heraus und beginnt mit der Befragung.
Alter, Gewicht, Geschlecht, Vorerkrankungen, was Chronisches, Medikamente, Allergien,
Dann dreht er sich zu mir um.
„Zeigen Sie mal das Loch in ihrem Bauch.“
Ich seh zum ersten Mal sein Gesicht und seine dicken Finger und denke sofort an einen ehemaligen Nachbarn, der Chef in seiner Metzgerei war.
„Das ist ja oberhalb des Nabels. Steht so nicht in den Papieren.“
Wenigstens drückt er nicht so wild wie sein Vorgänger.
Er fragt weiter nach Erkrankungen in der Familie, macht Häkchen auf einem Blatt auf einem Klemmbrett, notiert sich Unleserliches, erzählt was von Beruhigungspille und Schlafengehen, und während er fragt und erzählt, kommt eine andere Schwester, kneift mir ein Augen, flüstert, „Eben Blut abnehmen“, piekst mich und zapft drei Ampullen Blut ab.
„So, so. Sie meditieren. Vielleicht brauchen Sie die Beruhigungspille nicht.“ Er runzelt die sehr gut durchblutete Stirn.
„Nein lokale Betäubung ginge zwar, würde aber ein mehr an Medikamenten benötigen. Wir gehen tief in Ihren Bauch. Das tut weh.“
Er läßt mich seinen abgehakten Zettel durchlesen und unterschreiben, dann schickt er mich in die dritte Etage.
Hoffentlich nicht zu der blasierten Tante, denke ich, aber die Anästhesie ist auf der anderen Seite des Flures.
Ich betrete einen Raum, der so groß ist wie eine Umkleidekabine für zwei Personen. Mit einem Tisch mit Bert ohne Ernie, Einhornposter, Elfenglitzer, aber alles mit einer Patina aus den Neunzigern des letzten Jahrhunderts.
„Nehmen Sie Platz“, sagt jemand aus einem Nebenraum, „ich bringe Ihnen gleich das Formular.“
Ich setzte mich, eine Frau kommt aus dem Nebenraum, überreicht mir ein Blatt Papier. Es sind die gleichen Fragen, die mir der Arzt vorher gestellt hat, nur dass ich diesmal die Häkchen selber machen muß.
Zwei weitere Menschen plus Rollator plus ein abstehender, eingegipster Arm kommen herein und befüllen die Butze über Gebühr. Es wird eng.
Zum Glück ist der Fragebogen schnell durchgearbeitet, die Frau macht einen Stempel drauf, ich unterschreibe und bekomme meinen, mittlerweile angewachsenen, Stapel Papiere in die Hand gedrückt und werde auf die nächste Station geschickt.
„Hallo Wowo“, sagt die Stationssekretärin. Ihre Tochter gehörte zur letzten Truppe der Theaterkids. Kurzer Smalltalk, die Papiere bleiben hier, Essen zwölf Stunden vorher nichts, trinken bis um Fünf, auch Kaffee, ja, aber ohne Milch. Um Sieben soll es losgehen. Morgen.
Um 21.00 Uhr bin ich im Bett, um 4.30 Uhr klingelt der Wecker.
Kaffee kochen, ans Fenster setzen, trinken und eine Zigarette rauchen, fühlt sich um diese Zeit fast so an wie alte Rituale nach einer Party. Niemand ist unterwegs, der Tag bricht eben erst an.
Duschen, rasieren, anziehen, durchatmen. Die Liebste kommt mit dem Hund, gemeinsam gehen wir hoch zum Krankenhaus.
Im Foyer sitzt eine müde Rezeptionistin, hinter der Glasscheibe der Ambulanz sitzt eine Frau die konzentriert auf einen Bildschirm schaut. An der Scheibe klebt ein Zettel: Dieser Platz ist nicht besetzt.
Auf der Station werde ich freundlich begrüßt und bekomme das mittlere Bett in einem Dreibettzimmer zugewiesen.
„Ziehen Sie alles aus. Ich bringe Ihnen ein OP-Hemd.“
In den Betten rechts und links zwei röchelnde Mittsiebziger.
Ich ziehe mich aus, das OP-Hemd an, die Situation fühlt sich nicht angenehm an und wird auch nicht besser, als die Stationschefin meint, dass sie noch die Schambehaarung entfernen müsse.
Sie hat die Tür noch nicht ganz geschlossen, da wird sie aufgerissen und ein Pulk von sieben Männern und drei Frauen eilen herein.
Kein Guten Morgen, nix.
Die Männer sammeln sich um den rechten Bettnachbarn, die Frauen, eine in Zivil, stehen an der Wand. Alle Männer machen sich, ganz wichtig, Notizen, die Frauen tun interessiert.
Was für ein alberner Ärzteauflauf, der so schnell wie erschienen, auch gleich wieder verschwindet.
Die Oberschwester kommt mit der Auszubildenden zurück und rasiert meinen Schambereich – weil die es gerne großflächig haben – und ein klein wenig oberhalb des Nabels. Dann bekomme ich Thrombosestrümpfe angzogen, und jetzt fühlt es sich wirklich unangenehm an.
Dem Nachbar im linken Bett wird die Brustbehaarung abgenommen, auch er bekommt Thrombosestrümpfe, während der rechte Nachbar sein Frühstück genießt.
Es riecht nach Kaffee.
Es ist auch schon zehn vor neun. Die Warterei nervt.
Eine neue Schwester kommt. Sie begrüßt mich, ich lehne die angebotene Beruhigungspille dankend ab, dann schiebt sie mein Bett in den OP. Ein seltsames Gefühl, sitzend, in einem Bett, durch Gänge geschoben zu werden und alles mit erhöhter Konzentration wahrzunehmen.
Na ja, erst warte ich in der Schleuse, die ein wenig das Ambiente einer Garage hat.
Sechs ungebrauchte Betten, eingeklappte Sichtschutzwände, Absauggeräte, tote Bildschirme und eine quietschende, knarrende Schleusentür.
Im Nebenraum unterhalten sich zwei, während ich allein im Bett zwischen den beiden Schleusentüren warte, aus dem Raum, wo ich den OP vermute, kommt jetzt auch Stimmengewirr und hydraulische Geräusche. Die andere Tür öffnet sich.
Eine Frau mit Mundschutz, Haube und grünem Kittel trägt einen blauen Plastikmüllsack, voll, und Altpapier aus dem OP, gefolgt vom ‚Master of to be stoned‘ und sein Assistent. Die mich beide in den Vorraum des OP´s schieben.
So, wie sie aufgesetzt fröhlich sind, wirken sie, als testeten sie die Narkotika noch vor dem Frühstück, Der Meister erzählt fröhlich von der Narkose, während er mir einen Zugang auf dem Handrücken legt, Kathoden auf die Brust klebt, von Vitalwerten und Überwachung erzählt und auf meine Frage, ob ich den gleichen heißen Scheiß bekäme wie Michael Jackson, nickt er mit glänzenden Augen. Propofol. Die ersten Medikamente tröpfeln.
Kurzzeitig wird es heiß auf meinem Handrücken, dann im Körper.
„Hey, das kommt aber gut“, sage ich.
Gegenüber des Narkoseüberwachungsgerätes ist ein großer Kasten mit einer blauen Matte obenauf.
„Heben Sie bitte mal kurz Ihren Po an, dann dann holt die Matte Sie von ganz alleine.“
Das war wohl das hydraulische Geräusch, denn jetzt schiebt die Matte sich unter meinen Po, ich rutsche weiter, weil sie nass und warm ist, uhh, eine Schwester meint:“ Jetzt können Sie auch gleich rüberkrabbeln, so fit, wie sie noch sind“, und ich krabble rüber auf die nächste Liege, merke noch, dass die Beine festgeschnallt werden, und als ich die Augen wieder öffne und mich frage, wann es denn losgeht, bin ich schon in dem Aufwachraum.
Der Tropf tropft, der Bauch schmerzt ein wenig, aber die Schwester erzählt, alles sei ok. Die OP problemlos verlaufen. Selbst auf meine Frage, ob ich einen Kaffee bekommen könnte, antwortet die Schwester fröhlich ja.
„Wir haben aber leider nur Senseo.“
Der erste Schluck, noch im Aufwachraum, schmeckt scheiße, aber das kann auch am Kaffee selbst liegen.
Mit dem Becher in der Hand werde ich auf das Zimmer geschoben, in dem der rechte Bettnachbar alleine liegt.
Warum Herr Jackson wohl diese Droge bevorzugt hat?
Um viertel vor zehn fiel der erste, narkotische Tropfen, seit halb zwölf bin ich wach und zurück auf dem Zimmer. Das Wegtreten dauerte gründliche eineinhalb Stunden. Spannend war, dass ich beim Wegtreten einen Gedanken über diese blaue, feuchte Matte hatte und den Gedanken ansatzlos beim Aufwachen weiterdachte und beim Denken bemerkte, dass es ein anderer Raum war. Das war eine spannende Irritation in der Wahrnehmung. Aber nur durch den Ortswechsel.
Wurde Herr Jackson denn innerhalb seines Vergnügungsparkes an verschiedene Orte getragen? Dann würde die Droge ja Sinn machen.
Das sind so Gedanken, die einem danach durch den Kopf gehen, und was sie in der Zeit mit mir gemacht haben, werde ich hoffentlich gleich erfahren.
Ich klingele. Erstmal passiert gar nichts, dann kommt ein muffiger Praktikant der fragt, ob ich geklingelt habe.
„Ja. Der Tropf ist durch. Ich würde gerne pinkeln.“
„Es ist grade Essensausgabe. Aber ich sag Bescheid.“
Irgendwann kommt die Frau die mich rasiert hat und eine fremde Frau. Die zieht den leeren Tropf heraus. Ich gebe schon mal OP-Hemd und Strümpfe ab, während mein Essen kommt, das ich, bis auf die Kekse und den Joghurt nicht anrühre. Keinen Hunger auf in Sauce ertrunkene Frikadelle mit Bohnen und Kartoffeln.
„Ohne etwas zu essen und einen Toilettengang läßt der Narkosearzt Sie nicht weg.“
Ich deute auf Kekse und Joghurt. Das wird reichen müssen.
Langsam ziehe ich ich mich an, dann gehe ich pinkeln, dann nehme ich die leere Kaffeetasse und hole mir Kaffee auf dem Flur aus einer Thermoskanne.
„Ach, Sie sind ja gar kein Mann“, sage ich zur Narkoseärztin, „mir wurde von einem Arzt erzählt. Da könnte man* doch wirklich Ärztin sagen.“
Sie schaut mich mit skeptischer Erheiterung an.
„Ihnen scheint es ja ganz gut zu gehen. Haben Sie schon gegessen? Getrunken? Ja, ich seh schon. Von mir aus können Sie gehen.“
Der Arzt, der mich operiert hat, nickt und meint: Von mir aus auch. OP war komplikationslos, alles wie besprochen. Morgen früh bitte um zehn zur Nachuntersuchung.“
Die Stationssekretärin gibt mir noch sechs Iboprofen 600, der Doc einen Brief für den Hausarzt, und weg bin ich.
Diesmal mit dem Fahrstuhl abwärts. Um vier hab ich noch eine Zahnarzttermin. Den darf ich nicht verpassen.