Es frischt auf. Irgendwo ist ein reinigendes Gewitter niedergegangen.
Der trockene Garten riecht nach Süden. Es ist warm genug, dass aus nachbarlichen Nadelhölzern. ätherische Öle herüberwehen.
Die Landstraße, grau und staubig, erzählt von der Sehnsucht, ihr zu folgen.
„Weißt Du noch? In Pantoffeln bis und durch Paris und durch den Rest der Normandie getrampt, als blinder Passagier nach Korsika, oder die Nacht in der französischen Bushaltestelle, wo der seltsame Typ mit Joghurt eine weiße Raute auf den Asphalt malte (damals gab es noch keinen Hashtag) und ununterbrochen von croix blanche redete, während auf dem Gaskocher die Ravioli warmliefen und es regnete? Diese Sehnsucht.“
Ja. Und das Bewußtsein: Das alles ist für mich, solange ich keine Besitzansprüche stelle.
Die hundertausend Sterne in einem Tal der französischen Alpen, die Nachts, als Glühwürmchen verkleidet, langsam nach oben stiegen, der verwilderte Hund, der sich an meinen Schlafsack kuschelte, selbst, als sie auf uns schossen in diesem korsischen Bergsee, das ist alles meins, gehört zu mir, gehört mir nicht.
So radel ich träumend über Land, nur gestört von Individualidioten, die in hupenden Blechschlangen irgendeinen Sieg, eine Hochzeit oder beides feiern.
Diese Smuff-lutschenden Dänen in Belgrad, in der vollen Hotelbar, kurz vor Ausbruch des Krieges. Oder in Prag, wo wir mit geballter Faust begrüßt wurden, Vaclaw Havel im Knast saß und der Wenzelsplatz vor Demonstranten überquoll.
Oder Jaroslav, bei 35° minus auf dem ersten, unabhängigen Theaterfestival der damaligen UDSSR.
Oder Lissabon/Almada, wo spanische Straßenkünstler sich in Abschussrampen für Feuerwerkskörper verwandelten, während ich das Licht für den Abend einrichtete.
„Ja, ja“, schnauzt jetzt der Fahrradweg. „Schwelge nur weiter in der Vergangenheit. Die Zukunft gehört jetzt anderen.“
Der ‚Radweg‘ endet vor einem Baum.
Ich bremse,steige ab und lache ausgiebig.
Zukunft besitzt man* nicht. Zukunft ist die Entscheidung über die nächste Sekunde, die das Unterbewußtsein schon vor zwei Sekunden gefällt hat.
Der Fahrradweg schweigt beleidigt. Rotlackiert und emphatielos.
Die Angst, sagen meine Gedanken. Die Angst fühlt sich gleich an.
Eine Woche lang schaute ich in Veitshöchheim zu, wie armeerikanische Panzer auf Züge verladen wurden, um dann als endlose Schlange vor meiner Wohnung nach Afghanistan gegen die Russen zu rollen.
Da hatte ich Angst vor dem greifbaren Untergang. Also weg. Nur wohin? Das war der erste Gedanke. Der zweite Gedanke, egal, es knallt global. Deshalb über Land mit Bauwagen und Theater und irgendwas und irgendwie von mir Geschriebenes, bescherte mir zumindest meine Concertina Jetzt schaut diese Angst wieder aus ihrem Loch.
Endzeitgedanken, Zerstörungsszenarien, brennende Erde, brennendes Wasser, brennende Luft. Und wieder rücke ich der Angst mit meiner Concertina auf den Leib.
Was für ein Kreislauf.