Es ist früh am Morgen. Heut Abend werde ich ein Anschläger sein.
Ein Muskelmann mit Religionsbart schaut mich grimmig an, während er darauf wartet, dass der Nachbarfriseur öffnet.
Ich denke an die Schulungsräume für den Bootsführerschein, Fahrschule, Seminarräume allgemein und frage mich, wie der Raum der Anschläger aussehen wird. Christopher kommt, und gemeinsam fahren wir Richtung Möhne. Die hat die Anschläge der Briten mit den Rollbomben, hüpf – hüpf – hüpf – sink – bumm, nicht so gut überstanden. Wir hoffen, dass es uns besser ergeht.
Ein Industriegebiet, eine kleine Blechhalle, eine weiße Eingangstür, ich würde sagen: Alles in Allem eine kleine Klitsche.
Ein Mann mit rundem Gesicht, Würstchenlippen und leicht hervorquellenden Augen, empfängt uns. Er ist der Ausbilder und gibt Christopher und mir die Hand, die sich anfühlt wie ein ertrunkenes Nagetier mit Fell. Er kratzt sich im Schritt, meint aber lapidar, da hätte ihn eine Mücke gestochen.
Die Halle wirkt eher wie eine große Garage. Neben einem kleinen Hubsteiger steht ein Motorrad, in einer anderen Ecke ein Bett und noch ein Moped. Oh ha.
Im hinteren Teil steht ein Bauwagen, da sind die Toiletten. Außerdem neun Stühle, in drei Dreierreihen mit kleinen Schultischen. Das ist die theoretische Unterrichtsabtelung. Ein Beamer, eine Leinwand, Spielzeugbagger, kleine Plastikgabelstapler, Kräne für den Sandkasten, Schautafeln aus den 70gern.
Auf zwei Plätzen liegen Presente für uns. Schlüsselband, Kugelschreiber, Feuerzeug, unverrottbare Einkaufstasche, alles in Signalrot, sowie ein blaßkopiertes, nicht mehr aktuelles Regelwerk für Anschläger. IMG_0329
Christopher und ich sind die einzigen Teilnehmer. Als Erstes sollen wir das blaßkopierte Regelwerk aktualisieren, indem wir eine neue Kennzeichnungsziffer für Anschläger auf irgendeine Seite schreiben.
Dann schaltet er den Beamer an, und wir sehen einen Schulungsfilm über Sicherheit am Arbeitsplatz, hergestellt 1973, während der Seminarleiter unsere Daten vom Personalausweis irgendwo einträgt.
Nach dem Film erzählt er uns noch einmal den Inhalt des Filmes, schweift aus unerklärlichen Gründen ab und landet beim Grundgesetz, welches er, nach eigener Aussage, sehr genau studiert hat und zu der Überzeugung gekommen ist, dass die BRD nicht existiert, sondern ein Wirtschaftskonglomerat ist.
Na super. Es ist nicht nur brunzlangweilig, der Fredi ist auch noch ein Reichsbürger. Bloß nicht diskutieren, sonst dauert der Dreck noch länger. Also schauen Christopher und ich ihn schweigend an. Raucherpause, schlägt der vor.
Danach gibts den zweiten Schulungsfilm. Alte, grisselige Bilder von irgendeiner Werft, von Ketten, Belastungswerten und Anschlagwinkeln, die man keinesfalls überschreiten darf, Traversennutzung, Zweier – Dreier – und Vierergehänge, von Ungleichgewichten und Kettenverkürzungen, von Drahtseilen und Gurten, die materialschonend sind, aber auch durchscheuern (mit Winkelangabe von Kanten, ab wann gescheuert wird), von Handzeichen zum Kranführer, rauf-runter, rechts-links, näher ran, weiter weg, und nach Filmende versucht der Fredi schwurbelnd und verklausulierend das Halteszeichen zum Kranführer noch irgendwie, aber nicht so richtig, mit dem Hitlergruß zu verbinden.
Schweigen, Raucherpause.
Danach gibt´s eine Powerpointpräsentation mit gleichem Inhalt, wie das blaßkopierte Anschlägerheftchen. Kettenkennzeichnung, Gurtkennzeichnung, farbige Plaketten für Belastungswerte, Aufnäher, Einnäher, Anzahl der Streifen auf der Gurtummantelung, Anschlagwinkel und Verlust der Tragkraft – Wenn Sie die Seele sehen, Seil wegschmeißen – ausgeleierte Haken, abgenutzte Kettenglieder, Kettenversteifung, Säurebad und Korrosion, dann spielt Fredi mit dem kleinen Plastikgabelstapler und zeigt, was passiert, wenn Ladung schief sitzt.
Kaffee, Raucherpause.
Zum Schluß sehen wir Gurte und Ketten am Haken in echt, sehen die Plaketten und Aufnäher, sehen Gurte, deren Eingeweide herausquellen, dann überreicht er uns das Zertifikat, gibt uns das nasse Nagetier mit Fell zum Abschied.
Bloß weg. Diese fünf Stunden hätte man in dreißig Minuten packen können, aber jetzt dürfen wir am Hafen arbeiten und Lasten anschlagen.
narr

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