Candyman

„Ich kann nicht so schnell. Machen Sie mal langsam, junge Dame. Ich steh unter schweren Medikamenten. Diese beiden Weizen hätte ich gerne. Das machen Sie gut. Auch dieses Geschäft. Ganz wunderbar, wie Sie das machen, junge Dame.“ Wäre das nicht eine Alternative? Alle Kund*innen bekommen vor Betreten des Geschäftes schwere Medikamente, bis wir alle ganz wunderbare, junge Damen sind. Der Candyman hält uns die präparierten Zuckerstückchen mit ausgestrecktem Arm auf

Gewes

Fleischpasteten und Overallträger. „..und noch ’ne Bild dazu und nen Kaffee.“ Die Männer gehen armfrei im Unterhemd am frühen Morgen. Das blaue, kyrillische Gekritzel unter der fahlen, wabbeligen Speckhaut könnte man bestimmt lesen, wenn man mit den Fingerkuppen über die Gänsehäute striche. Aber wer möchte das schon. Reinweiße Betonmischer, mit rotierender Trommel ohne einen Spritzer Dreck, strahlen eine chirurgische Eleganz aus, wenn sie leise durch die Zone rollen. Sie legen

mein kleiner Bengel

Die Frühschicht der Spielhallenaufsicht trägt einen dicken Wollponcho, der die gleichen großflächigen Muster zeigt, wie in der Fensterwerbung ihres Arbeitsplatzes. Das ist gelebte Identifikation mit dem Job. Steht sie vor der geschlossenen Eingangstür, verschwindet ihr großer Körper zu 80% in den Mustern. Ihre Kollegin erreicht das durch einen Jogginganzug in grauem Tarnfleckmuster. Man soll sie nicht sehen bei der Aufsicht. Die suchtkranken Spieler*innen sind paranoid genug. Ich hab ein neues

Kopfkino

Der Morgen beginnt ruppig. „Ruck-zuck ist die Fresse dick und die Runkel dunkel.“ El Consigliere steht vor dem Bauzaun und schaut den Jungs, die flott malochen an diesem zukünftigen Altenheim, beim Mauern und Wuchten von künstlichen Steinen zu. Links der Espresso, rechts die Zigarette, in der Mitte der Herzschrittmacher. „Schinkenspicker“ will ich immer rufen, weiß aber, dass es der Information geschuldet ist, der Finanzier der Altenwohnanlage sei primär Schinkenproduzent. Demnächst

Bei Mary Poppins war alles besser

Der Kampf der Schornsteinfeger findet auf allen Ebenen statt. Der Bezirksfeger sieht ein wenig wie Carlsson vom Dach aus und kommt mit seiner Auszubildenden. Er wirft einen Blick hinter die Schornsteinklappe. „Ja. War klar.“ „Was ist klar?“ „Schauen Sie doch selbst.“ Er weist mit der Hand in die Öffnung, in der, haldenmäßig, der Ruß nach oben klettert. „So ein Pfusch.“ Er schüttelt seine blonden Locken. „Warum?“ „Wenn wir Kamine kehren,

Nasendusche

Montag Morgen. In dieser kleinen Stadt gibt es jetzt kaum Menschen, die aufrecht gehen oder glücklich blicken. Die Schultern hängen, der Blick ist auf den Boden geheftet. Der Schulzzug ist noch nicht vorbeigekommen. Keine Begeisterung, die anstecken könnte. Das tun hier bloß Viren und Bazillen. „Ich. Ich bin dran“, versucht ein russischsprachiger Mann mit Krücken sich erfolglos vorzudrängeln. Die Krücken trägt er unter dem Arm. Vielleicht nutzt er sie, wenn

Lotto

Santana und Bueno Vista Social Club sind die neue Nachmittagsmusik in Filiale 43. Vielleicht ist es auch nur Klonmusik. Hört sich an wie Santana, sind aber nur Algorythmen. Liest sich wie Steven King, sind aber nur Algorithmen. Fühlt sich an wie Blödheit, ist aber nur Westfalenpost. Was Handfestes muß her. „Ein halbes Emma Urkorn.“ Da Autos immer häufiger als Waffe von Terroristen benutzt werden, kann man Autofahrer*innen doch als Fast-Terrorist*innen

Nazigold

„Du hast aber auch ein Schild an der Stirn“, sagt meine Liebste, als ich ihr die Geschichte erzähle. Stimmt. Die Verrückten kommen alle zu mir. Gestern war ja Sonne. Toller Tag, Gartenarbeit, und da mir Schreddern um die Mittagszeit nicht genehm ist, weder von mir noch von anderen, setzte ich mich ins Fenster, um an meiner Gebärdengeschichte zu arbeiten. „Sie sitzen ja immer noch da“, ruft eine Frau, vierzig vielleicht,

„Katze gebärden. Versteh nicht.“

Zeit zur Rekapitulation. Mein Kopf ist wirr von all den Gebärden. Eine Woche Sprachfingern macht erstaunlich Dinge mit der Wahrnehmung. Santana zum Frühstück aus den Bäckereiboxen. Galoppel, galoppel sagt der innere Taktgeber, während der Verstand versucht, das Tempo zu drosseln. Umweltsäue verstopfen mit Blechkotze die Zone für eine Handvoll Brötchen, und es ist ihnen überhaupt nicht peinlich. Aber egal. Ich muß die Gebärden sacken lassen. Eine Woche intensiv Gebärdensprache zu

U-Stein

„Was jammern Sie denn rum?“ Der Apotheker von gegenüber ist heute besonders sensibel. Er hat ja recht. Jammern hilft nicht, und verzögert, wie man jetzt festgestellt hat (oh Wunder) den Heilungsprozess. Vor drei Tagen kontrollierte ich, ob die Blumen am Grab noch in Ordnung sind und wollte bei der Gelegenheit den U-Stein – zum Sitzen und Besinnen – zurück auf das Grab wuchten und hab mir dabei mit voller Wucht